Die Nachtigall

Man stelle sich vor: es ist ein schöner und milder Frühlings- oder Sommerabend, ein laues Lüftchen weht. Noch ist es nicht dunkel. An einem weit geöffneten Fenster im Karlsburger Schloss sitzt eine Frau, die einen Brief schreibt oder in einem Buch liest. Nun kommt die Nachtigall respektive der Sprosser (siehe Youtube) ins Spiel. (Augenscheinlich unterschied man im 19. Jahrhundert landläufig nicht zwischen Nachtigall und Sprosser)

Immer wieder beschreibt Caroline die wunderbare Stimmung, in die der Gesang sie versetzt. In ihrer Lebensbeschreibung schildert sie ihren Kindern die Einrichtung des Schlosses, als sie mit Eltern und Schwester in Karlsburg ankam. Das Cabinet war mit dunkelgrünem Damast tapeziert u hatte ein Sopha u 2 Stühle mit demselben Stoff überzogen, ein émail Tisch stand davor. Das Bild der Königin v. Schweden hing darin u waren in den Ecken étagèren mit dem Kaffee u Thee service, was jetzt in der weißen Galerie. Nachtigallen wurden darin gehalten. In der damaligen Zeit war es Mode, Nachtigallen in Käfigen zu halten. Das ging teilweise so weit, dass ganze Populationen ausgerottet wurden. In Carolines Briefen ist davon aber nicht mehr die Rede. An dieser Stelle soll Caroline selbst zu Wort kommen und ihre Liebe zum Gesang der Nachtigallen.

04.06.1817 Carlsburg an ihren Verlobten Theodor von Bismarck: Der Abend ist wunderschön ich höre die Nachtigall schlagen, mit welchem Vergnügen würde ich spazieren gehen, wären Sie da! Wie ein einziger Mensch mehr oder weniger alles verändern kann, verherrlichen oder verzaubern, freylich kömmt es ganz und gar auf seine Individualität dabey an, denn hunderte und tausende könnten mir den Einzigen nicht ersetzen[,] an den ich jezt schreibe. Heute vor 8 Tagen war der lezte[,] den Sie hier zubrachten, wie froh bin daß sie vergangen sind! Übermorgen entferne ich mich auch von Ihnen, es scheint[,] als wenn wir noch nicht weit genug von einander wären, das Meer soll wenigstens nicht zwischen uns treten – die Nachtigall schlägt hier unter dem Fenster im Cyrenengebüsch, o könnten wir Sie doch zusammen hören! –

Am 26.04.1818 schreibt Caroline, die sich von Breslau kommend auf dem Weg nach Karlsburg mit Zwischenstopp in Frankfurt/Oder befindet, an Theodor: Bei Neustädtel hörte ich die erste Nachtigall, sonst ist der Unterschied groß[;] wie viel grüner es um Breslau ist wie hier, bey dem herrlichen Wetter ist es dort gewiß schon alles grün, ich konnte gar kein besseres wünschen, wir leiden nur von der Hitze.

In Karlsburg angekommen, heißt es in einem Brief an Theodor: Gestern Nachmittag war der Pastor mit seiner Frau hier, leztere hatte ich schon vor der Kirche begrüßt[;] sie nennt mich noch immer Carolinchen so wie der Carl [ein langjähriger Angestellter im Schloss] auch den ersten Tag, was mich sehr amüsiert; sonst könnte ich es nach gerade übel nehmen wenn man mir den Frauen Titel versagt, der alte Pastor freute sich sehr mich wiederzusehen, u nachdem sie weg waren[,] spazierten wir noch im blühenden grünenden Garten, der mich so an unsern Brautstand erinnert, jetzt ist oder wird es aber doch noch besser seyn, die Nachtigall hat sich nicht wieder eingefunden, heute weht es wieder so sehr, so daß wir erst gegen Abend gehen werden.

Und wenig später geht ein weiterer Brief an Theodor ab: Nach Niederhof reisen nur die Mutter ich, Jüngel [der Neffe] mit seiner Amme u Christine [eine langjährige Angestellte], im August denke ich[,] bleibt es bey unserer Rügenschen Reise, die wir schon sehr lieblich entworfen! Mit der Gr[oß]mutter bin ich jetzt auf dem besten Fuß[,] auf den wir seyn können; wie schön es hier wieder ist[,] kannst Du Dir von vorig Jahr her erinnern, alles blüht, der Flieder, die Apfelbäume, aber die Nachtigall schweigt.

Am 26. Mai 1818 meldet sie aus Niederhof an Theodor: Jetzt wohne ich mit der lieben Mutter zusammen, so wie Du hier einst warst, ich habe die Nacht sehr gut geschlafen, u bin nicht im geringsten angegriffen, sondern befinde mich vortrefflich, heute Morgen saßen wir im Park, denn es ist herrliches Wetter[,] hörten die Nachtigall, u haben die Leonie de Montbreuse [von der französischen Romanschriftstellerin Sophie Gay] angefangen.

Weiter unten fährt sie fort: Die Gr[äfin] Putbus fuhr nach dem Thee wieder weg, u die Mutter[,] Fikesche u ich gingen den schönen Abend noch spazieren u hörten die Nachtigallen schlagen, welche mich an Dich so lebhaft erinnerte[,] die ich zulezt mit Dir hatte schlagen hören.

Ein Jahr später wieder im Mai weilte Caroline kurz vor ihrer Entbindung von ihrer Tochter abermals bei den Eltern in Karlsburg und schwärmt ihrem Mann vom wunderbaren Gesang der Nachtigall vor. Guten Tag mein theurer geliebter Theodor, denke[,] wie angenehm wir heute durch eine Nachtigall[,] die sich gerade unsern Fenstern gegenüber etablirt hat[,] überrascht worden sind, sie schlägt herrlich. Und weiter unten: Alle finden mich so sehr viel kräftiger u beweglicher wie das vorige Jahr, ich selbst finde den Unterschied aber auch sehr groß, u ganz zum Vortheil des jetzigen, wie schön schlägt die Nachtigall! Ich höre sie immer an meinem Schreibtisch. Dieser Platz soll noch zu morgen früh bleiben, jetzt küsse ich Dich vielmal mein Geliebter u verlasse Dich ungern einen anderen Br[ief] zu schließen.

Immer mal wieder streute sie in ihren Briefen auch das Fehlen des Nachtigallengesangs ein: Die Nachtigall hören wir gar nicht.

Nicht nur in der ersten Zeit ihrer Ehe erinnert Caroline ihren Mann an das Schlagen der Nachtigall, welches ähnlich wie das Veilchen Sinnbild ihrer Verbundenheit und Liebe war. Aus Berlin berichtet sie im Jahre 1850: Da bin ich aus der Kirche, wo ich eine ziemlich nüchterne Predigt gehört, der Rückweg durch den grünenden Thiergarten, durch die Blumenpartieen … Die schlagenden Nachtigallen darin, das war das Erhebenste. Ich ging mit dem guten Below [der Schwiegervater von Fritz] allein, seine Damen warteten im Zuge vor der Kirche auf die Münster [eine Gräfin], das konnte er u ich nicht gut vertragen, darum alliirten wir uns.

Am 09. Juni 1854 berichtete sie Theodor aus Karlsburg: Heut Morgen hatten wir einen schönen Regen, nur zu wenig, danach schlugen die Nachtigallen wieder so schön!

An Fritz schreibt sie im Mai 1855, auf der Durchreise von Uenglingen aus: Die Nachtigall schlägt auch hier dicht unter meinem Fenster zu meinem großen Vergnügen;

Und in Hannover bei ihrer Tochter angekommen beginnt sie einen Brief Pauline so: Bei dem Schlag der Nachtigallen unter meinen Fenstern ergreife ich die Feder, meine geliebte Pauline! nur werden die lieblichen Sänger eben durch eine Marktharfe von der andren Seite übertönt.

In einem anderen Brief an Pauline vergleicht sie die Stimme ihrer Schwiegertochter mit der der Nachtigall: Deine Heiserkeit bedauere ich ungemein, u doppelt für Deine süße Nachtigallenkehle, …

In einem Brief vom 29.04.1857 verheißt sie Theodor nach einem schlechten Tag das Glück, möglicherweise eine Nachtigall zu hören: Den lieben Kindern schickte ich einen Schinken, der hoffentlich glücklich angekommen, u drückte ich da schon mein Bedauern aus über den unglaublichen Unstern der Dich d. 23ten verfolgt, an dem Tag würde ich keine Reise mehr unternehmen, schon das Wetter war ganz umgewandelt. Dagegen wirst Du es heut in Uengl.(ingen) gewiß schon recht hübsch haben, u vielleicht sogar die Nachtigall hören.

Der letzte Brief vom Mai 1858, aus dem hier zitiert werden soll, ist von Theodor an Fritz gerichtet. Drei Monate zuvor war Caroline in Venedig gestorben: Seit einigen Tagen haben wir nach recht vielen Regen, sehr schönes warmes Wetter und alles fängt an prächtig zu grünen. Mehrere Nachtigallen schlagen im Garten und ich schreibe bei offenem Fenster. Über die Nachtigallen freute sich die theure Mutter immer so und pflegte auch Abends am offenen Fenster sie zu belauschen und jetzt – Ach mich erfreut doch nichts mehr ohne sie?

Veröffentlicht von

Ursula

30 Jahre meines Lebens verbrachte ich in Leipzig, holte nach Abschluss der 10. Klasse und neben meiner Tätigkeit als Buchhändlerin in der Internationalen Buchhandlung Leipzig das Abitur an der Volkshochschule nach und studierte anschließend Germanistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Neun Semester später wurde ich als wissenschaftliche Assistentin in der Literaturwissenschaft der Universität Greifswald mit dem Ziel zu promovieren, eingestellt. Meine Dissertation über den Satiriker des 17. Jahrhunderts, Johann Michael Moscherosch, verteidigte ich 1987. Zu der Zeit arbeitete ich in der Fachbibliothek des Historischen Instituts. Von 1988 bis 1990 lebte ich mit meinem Mann in Vilnius und lehrte als Sprachlektorin an der Universität Vilnius. Nach unserer Rückkehr arbeitete ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Greifswald, ab 1993 dann als Leiterin des Zentralen Prüfungsamtes der Universität Greifswald. Seit einiger Zeit bin ich im Unruhestand und beschäftige mich mit verschiedenen Themen, zunächst mit dem Leben meines Großvaters mütterlicherseits, Franz van Himbergen, nun mit Caroline von Bismarck Bohlen. Aber auch das Leben in der Gemeinde Karlsburg, insbesondere aber das Steinfurther Dorfleben liegt mir in besonderer Weise am Herzen. Aus diesen Gründen habe ich diese Website eröffnet.

Ein Gedanke zu „Die Nachtigall“

  1. Viel Verständnis für Leben und Lieben, menschliche Bindungen in Karlsburg sowie Steinfurt, ihrem Wohnort, zeichnet die Verfasserin aus.

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