Selbstgeschriebene Lebensgeschichte der Caroline erste Gräfin Bismarck-Bohlen Teil 3

1814: D. 1ten Oktober nach dieser wichtigen Begebenheit, verließ uns meine Großmutter, u den 8ten folgten wir ihr, gingen den 10ten nach Putbus, wo wir auf dem Schloß beim Fürsten u der Fürstin Putbus zum Besuch waren, denn an ein Bad ward damals noch gar nicht gedacht. Wir waren bei der Gouvernante in recht schlechter Gesellschaft, sie hieß Debaux u hielt uns für dumme Gänschen; was eigentlich in ihrem Munde ein großer Lobspruch war. Wir spielten mit den Kindern, blieben einige Tage dort, u dann in Niederhof bis zum 21ten. Hier war kein Mangel an Unterhaltung, die uns mehr zusagte wie die in Putbus, u vor allen wurde der erste Jahrestag der Schlacht von Leipzig durch einen großen Ball gefeiert, den der damalige Commandant von Stralsund, General von Engelbrechten gab. Es war so schönes Wetter den Tag, daß ich mit dem Großvater auf offenen Wagen hinfuhr, die Nacht blieben wir in der Stadt. – D. 29ten Oktober kamen Putbus, General Engelbrechten, Baron Boye, der Großvater zu uns, wo mehre Tage gejagt wurde. Mitten in diese Gesellschaft kam plötzlich die Frau von Kahlden geb. Zepelin, Cousine meiner Mutter. Sie war ohngefähr vom Alter meiner Großmutter. Ihre Mutter geb. v. Walsleben hatte als junges Mädchen einem Herrn v. Wittken eine Neigung eingeflößt, das Schicksal trennte sie viele Jahre, u als Wittken, der in fremde Dienste gegangen war, als Wittwer mit 7 Kindern zurückgeblieben, wandte er sich an das Postamt zu Bützow wo er seine Flamme gekannt hatte, um Nachricht von ihr zu erhalten. Er erfuhr daß sie auch Wittwe geworden als Frau v. Zepelin, aber mit 12 Kindern (die Mutter der Ottenstedts gehörte auch darunter) darauf bietet er ihr seine Hand an, sie erhört ihn, 19 Kinder kommen zusammen, u auf das Zwanzigste verliert meine Großmutter eine Wette! Alte Liebe rostet nicht! – Frau von Kahlden nun hatte ihrerseits außer einigen Söhnen u wenigem Vermögen 5 Töchter, die es ihr Hauptgeschäft war an den Mann zu bringen. Sie hatte die dritte mit, ein hübsches artiges Mädchen, die H. v. Hackewitz, denselben der noch heut unser Nachbar ist u uns mit der Cousinage beehrt, gefesselt, nur hatte dieser kein ander Hab u Gut als dasjenige, was er von seinem Onkel dem Major von Schwanfeld zu Waschow u Walendow, der kinderlos war, zu erwarten hatte. Diesen zu bereden, schon jetzt dem jungen Paar zum Ehestand zu verhelfen, war die unternehmende Frau hergekommen u hatte bei einer ihr sonst ganz unbekannten Cousine, ihr Hauptquartier aufgeschlagen, u glaube ich daß ihren Zweck erreichte. –

Wir begleiteten Putbus nach Greifswald zurück, wo gerade Markt war, kehrten aber wieder heim u blieben wirklich ruhig in Carlsburg bis zum 30ten Dezember, wo wir nach nach Stralsund gingen u den 31ten der große Sylvesterball war, den General Engelbrechten immer gab, zu dem wir eingeladen waren.

Zu Weihnachten erhielten wir jede ein in Cassel eingekauftes Ballkleid, Tüll mit appliqué von Atlas, was uns sehr erfreute, es machte den Sylvesterball u auch den Huldigungsball nächstes Jahr mit. Die Großmutter beschenkte uns mit schwarz seidenen Mänteln, die damals aufkamen u sehr willkommen waren.

1815: Schon d. 31ten Januar 1815 kehrten wir nach Carlsburg zurück, denn die Großmutter brachte diesen Winter allein in Schwerin zu, und ich finde Ende Januar einen Besuch des Großvaters u des Baron Boye bei uns angemerkt.

Unsere Lektüre war: Herders Ideen zur Philosophie der Menschheit; für uns lettres du Cte Chesterfield à son fils, der Inbegriff aller Frivolität: auch den Gil Blas de Santillane den uns der alte Buggenhagen dringend empfohlen u geliehen, haben wir um diese Zeit gelesen. Cleveland einen Roman, auch Cecilia by Miss Burney ward gelesen, mit größtem Interesse, der meine Großmutter in ihrer Jugend entzückte vom Abbi Prevost in sehr vielen Theilen lasen wir auch, keine Spur von Natur, nur sehr viele Verwicklungen u sehr langweilig; u Sophiens Reise von Memel nach Sachsen, ein alter schwerfälliger Roman, den uns der Pastor Titel v. Boltenhagen, der Hofmeister meines Vaters gewesen lieh. Er besuchte uns öfters, u hatte dieses langsame feierliche Wesen, was in dem vorigen Jahrhundert wol zur feinen Lebensart gehörte. Bei meiner Großmutter Bohlen hatte er immer die Suppe vorgelegt, einst bat ihn meine Mutter darum, während sie die Milch vorlegte, ich weiß es noch, es war eine Krebssuppe u die Milch war schon längst aufgegessen, bis er mit dem Vorlegen fertig war! Es war ein braver Mann, meiner Großmutter treu ergeben. Er trug sich gerade wie der Magister in den Bildern zu Salzmanns Elementarbuch. –

Den 4ten März gehen wir für 8 Tage nach Stralsund, wo Belustigungen aller Art waren, Thé Conzert, Bälle, Comödie! Welch ein Unterschied mit heut zu Tage, u wie herzliche freue ich mich, daß ich jung war wie die Welt noch so viel heiterer u lustiger war wie heut zu Tage, wo man das Elend der untern Klassen noch gar nicht kannte! Weil es noch nicht existierte, keine Fabriken u keine Noth.

Wir fuhren zurück ein Diner in Buggenhagen mitzumachen, was sehr amüsant gewesen, ich glaube es war ein Unicum. – Darauf kam die Rückkehr von Napoleon, die Alles wieder umzustürzen drohte u mit der größten Spannung verfolgt wurde. In der Zeit hatten wir öfters den Besuch eines schönen schwedischen Offiziers, des Baron Ridderstolpe, der uns auch mit vielen französischen brochures [Broschüren] die damals erschienen, politischen Inhalts, versah. Er hatte einen romantischen Zauber, indem er bei dem unglücklichen Fest des Fürsten Schwarzenberg in Paris 1810, zur Vermählung Napoleons gegeben, die Fürstin von der Leyen aus dem brennenden Saal getragen u gerettet. Er bewarb sich, aber nur schriftlich um meine Schwester Julie, die noch nicht 15 Jahre alt u noch nicht eingesegnet war. Glücklicher Weise wurde er abgewiesen, es war auch wenig an ihm, er hatte schon damals eine liaison mit seiner nachmaligen Frau, der Tochter eines Kammermusikus in Berlin, die er später sehr schlecht behandelt hat, u sich von ihr scheiden lassen.

Am 4ten April kehrte meine Großmutter nach Niederhof zurück, u den 8ten sind wir unterwegs sie dort zu begrüßen u bleiben 14 Tage. Putbus waren damals in Stralsund u gaben eine sehr hübsche Soireé mit tableaux u.a. aus der Braut v. Messina die besonders gelungen waren, wir aßen auch bei ihnen zu Mittag u war die Freundschaft sehr groß damals zwischen ihnen u meinen Eltern.

Ostern, was damals d. 26ten März fiel, kommunizirten wir.

D 29ten März diner in Bauer, doch ich gehe wieder zurück anstatt meinen Faden weiter zu spinnen wie ich sollte u gehe ich schnell zu Pfingsten über, wo meine Großmutter uns mit Fräulein Lina v. Thun besuchte. Diners hier bei uns u in Bauer verschönerten das Fest. D. 5ten Juni waren wir wieder in Niederhof, wo ich viele diners bemerkt finde. Auch war der Markt schon in Stralsund so früh, u beglückte uns meine Großmutter mit sehr hübschen italienischen Strohhüten, die mir große Freude gemacht. D. 15ten kehrten wir heim, u hatten d. 18ten, gerade den hochwichtigen Tag der Schlacht von Belle Alliance ein diner von lauter Greifswaldern. Es war ein solcher Regen den ganzen Tag, daß wir nicht einmal vor die Thüre gehen konnten, unsere tapfern Kämpfer u Sieger litten auch nicht wenig darunter. D. 2ten Juli gehen wir auf einige Tage nach Niederhof u lassen Julie dort. Sie sollte den Religions Unterricht vom Pastor Keltmann in Brandshagen erhalten, u zugleich das Seebad gebrauchen. Die Arme! Der Unterricht war viel schlechter wie der meinige, sie bekam das kalte Fieber u war ungern in Niederhof. Einen hübschen Brief von ihr aus der Zeit will ich hier einschalten.

Es ist doch recht merkwürdig, wie wir in unserer Erziehung Alles französisch trieben, trotz der guten deutschen Gesinnung der Eltern. Unser Unterricht bei den Gouvernanten ward ausschließlich in französischer Sprache gegeben u der erste deutsche Briefwechsel den ich gehabt, war der mit meinem Mann. Meiner Schwester schrieb ich doch deutsch. Die alte Gräfin Platen sagte mir, der erste deutsche Brief, den sie geschrieben, sei an ihren Schuster gewesen. Ist es da wol zu verwundern, wenn die Franzosen da einen so leichten Eingang fanden wo ihre Sprache u ihre Bücher so einheimisch waren? – Es war wirklich eine ungemein brillante Zeit hier in Carlsburg eingetreten, 4 diners in einer Woche: in Buggenhagen (also irrte ich mich vorher) in Lassan beim Bürgermeister Cratius der ein großer Feinschmecker war, u regelmäßig auf seinen Fahrten nach Greifswald hier zu Mittag aß, in Bauer bei Lepels u bei uns. Meine liebe Schwester bedauerte dies zu versäumen!

Den 16ten Juli erhielt meine Mutter den Besuch von zwei Freundinnen aus Berlin, deren Einfluß ein nachhaltiger geblieben, sie brachten etwas Ernst u Nachdenken ins Haus, was sehr gut war. Die eine lebt noch 85 Jahre alt, als Aebtissin des Stifts Obernkirchen in Hessen, Fräulein Minette von Hanstein, sie war eine gute Bekannte meiner Mutter noch aus Cassel. Ihre unzertrennliche Freundin war die Generalin von Sobbe, sehr eigenthümlich hatte sie eigentlich etwas Männliches in dem Geschmack ihrer Beschäftigungen. So hatte sie die Rechnungen geführt bei den Lazaretten für verwundete Krieger in Berlin im Jahr 13, wo beide Damen sich aufs Thätigste u Wohlthätigste betheiligt haben. Auch war 1856, 87 Jahr alt schreibt sie noch die frischesten Briefe an meine Mutter. Die Generalin Dame des Luisen Ordens u verehrte sie Prinzeß Wilhelm über Alles. Schmeichler hatte ihr gesagt sie sähe ihr ähnlich, vielleicht kam es daher daß sie ihr Haar so trug wie die Prinzeß es damals that: Dicke Locken über den ganzen Kopf! Welch eine Mühe die Papilloten zu machen u sie zu brennen! Ich sehe sie noch mit den Händen auf den Rücken auf u abgehen, denn Handarbeit machte sie nie. Ihr Mann war ein Sonderling u lebte ganz für sich, er war ihr Onkel u als er um sie anhielt u ihre Mutter ihm einwand, er kenn sie ja gar nicht – freilich wohl, er habe sie ja über die Taufe gehalten! Sie war sehr gebildeten Geistes u machte uns mit der Romantischen Schule bekannt, mit Novalis, Tieck’s Novellen, aus denen sie uns den Pokal, den getreuen Eckard u andere mit großer Salbung vorlas. Sie zog mich vor u nannte mich, Carlinchen die Zarte! Ich widme ihr ein dankbares Andenken. Mein Mann hat noch 30 Jahre lang aus der Tasse seinen Kaffee getrunken, die sie mir mit meinem Namen geschenkt, u die ich bis dahin selber gebraucht. So beschaulich ihre Natur, so thätig u praktisch war die ihrer Freundin, die sehr geschickt war u sehr wußte meiner Garderobe auszuhelfen. Julie war ihr Liebling. Durch diese Damen gingen die Beiträge meiner Mutter für die gute Sache, Charpie, Leinwand etc. Auch waren sie die Veranlassung zur Erziehung von Marie Reich, an der sich meine Mutter sehr reichlich betheiligte. – Den 27ten gingen wir nach Niederhof wo unsere liebe Julie noch immer saß u das Fieber eben wieder bekommen hatte. Ich erinnere mir daß dort Nachmittags im Vogel Cabinett Mlle de Lafayette v. Mde. De Genlis vorgelesen wurde, u die Generalin zum zuhören eingeladen, entschuldigte sich: sie habe die Eigenthümlichkeit keine langweiligen Bücher zu mögen! Mehr aufrichtig wie höflich, einzuwenden war nichts dagegen. Meine Mutter wollte den Damen gern Rügen zeigen u diesmal setzten wir uns ohne Kammerjungfer in Bewegung, zu vieren, ohne Julie. Den 29ten nach Bergen u den Rugard, den 30ten Stubbenkammer, den 31ten Putbus. Hier erwartete mich ein ganz besonderes Vergnügen. Den 1ten August war der Geburtstag des Fürsten Putbus u eine größere Gesellschaft eingeladen ihn zu feiern. Es wurde eine Schäfer Quadrille getanzt, unter der ich war, es wurde getanzt, Illumination war auch u Alles sehr schön! Den andern Tag war eine Partie nach dem Vilm u den 3ten kehrten wir heim nach Niederhof, mit mancher guten Lehre für mich Frl. v. Hanstein, weil meine Mutter für mich gepackt hätte, das sollte ich für sie thun, worin sie auch gewiß Recht hatte. In Niederhof trafen wir die Tante Dorne mit ihrer Tochter Lore, es wurde Punsch gemacht, u da wir von jeher essen u trinken konnten was uns beliebte, so trank ich den Mittag ein Glas zu viel, weil sehr viel dabei gelacht u gesprochen wurde. Darüber bekam ich eine gute Strafpredigt von Frl. Hanstein, auch ist es mir nie wieder passirt. – Den 9ten kehrten wir mit Julie wieder nach Carlsburg zurück. Um diese Zeit muß das Schicksal der Provinz wol entschieden worden seyn, denn ich finde bemerkt: très affligeé de notre changement de gouvernement (sehr beunruhigt über unseren Regierungswechsel). Den 2ten September verließen uns die Berliner Damen. Kurz darauf, d. 4ten fahren wir zu einem Conzert nach Greifswald, die Schöpfung von Haydn zu hören, u machen da die Bekanntschaft v. Baron Carl Schoultz, der so früh starb u einer der originellsten, harmlos amüsantesten Menschen war, die ich je gekannt, Er hat eine ganz vortreffliche Frau als Wittwe geb. von Malzahn aus Gülz. Zarnekow hatte er ihr vermacht, nur ¾ Jahr waren sie verheirathet, hinterlassen, die nur für das Wohl des Nächsten lebt. Damals hatte er Absichten auf uns u besuchte uns öfter, was uns sehr amüsirte, er hielt auch um meine Schwester an, mit vielen Citationen aus dem 13ten Capitel des Corinther Briefes, war aber im Ernst nicht für uns geschaffen u begreife ich eigentlich noch nicht, warum er nicht um mich anhielt, da er mich lieber hatte! Sehr tief ging es nicht. Täglich hatten wir noch Besuch: der Großvater kam aus Carlsbad zurück u beglückte uns ungemein, indem er jeder von uns eine Chatulle von dorther mitbrachte. Wir hatten ihn um ein Obstmesser gebeten, u als ich ihm sagte: das ist ja viel zu viel, ich bat nur um ein Messer, antwortete er: es ist ein kleines Futteral zum Messer! Eine so hübsche Antwort, daß sie mir nach so viel Jahren noch gegenwärtig ist. Das Messer gebrauche ich noch täglich. –

Den 10ten wurde, wahrscheinlich mit Julie zum Abendmahl gegangen u den 12ten ward eine Reise nach Strelitz u Meklenburg angetreten. Meine Mutter, Julie u ich, die Jungfer u ein Diener. Wir wohnten in Strelitz, bei der Ministerin von Oertzen, wo es uns ganz vortrefflich ging; ein sehr hübscher kleiner Ball ward uns gegeben, wo die Juden aus Alt Strelitz die Musik machten, auch auf einem Hackbrett. An Hof gingen wir natürlich u verließen d. 16ten Strelitz, um nach Goldberg zu Frau v. Lehsten zu gehen, ihr Mann war dort Landvogt, Sie war die älteste Tochter der Tante Dorne, meine Mutter liebte sie vorzüglich u hatte sie sehr lange nicht gesehen, da sie gar nicht reiste. Sie bewohnte ein großes unheimliches Haus. Von dort aus besuchten wir auch das Kloster Dobbertin u gingen d. 23ten nach Ludwigslust. Meine Mutter ward gleich an Hof geladen, zu der Mutter der Herzogin v. Orleans, der Erbprinzessin geb. Prinzeß v. Weimar, die einen großen Ruf von Vortrefflichkeit hatte, wir waren auch den Abend da u ward mir an Tafel schlimm, so daß ich aufstehen mußte, was mit Recht wol auf die Reise Ermüdung geschoben wurde. Den andern Morgen gingen wir in die Kirche, besahen die Russische Kapelle u die Umgebungen; nach der Tafel war der Herzog Gustav so freundlich uns die Bilder Gallerie zu zeigen, die ich sehr schön fand. Den Abend brachten meine Schwester u ich bei der Prinzeß Marie zu, der jetzigen verwittweten Herzogin von Altenburg. D. Montag drauf fuhren wir ab, besahen noch in Wöbbelin das Grab von Theodor Körner, für dessen Leyer u Schwerdt wir auch geschwärmt; es ist gerade auf dem halben Wege nach Schwerin, wo wir uns nicht aufhielten, sondern nach Wandrum fuhren, den am Schweriner See reizend gelegene Landsitz der Tante Dorne, wo wieder ein sehr heiteres Leben geführt wurde. Außer den zahlreichen Angehörigen kam noch jeden Tag Besuch, es ward auf dem schönen See gefahren u geangelt, aber nicht von mir. Auch wurde aus den Karten prophezeiht u wurde wenigstens nachher behauptet, daß Julie ein sehr reicher Mann vorher gesagt worden.

D. 29ten reisten wir nach Güstrow, wo meine Mutter wieder eine Cousine, Frau v. Oertzen, geb. v. Dorne hatte, bei der wir soupirten. Den 30ten langten wir in unserer guten Heimath an. Gleich darauf besuchte uns August Schoultz, der jetzige grand Baron. Mein Vater ging allein nach Niederhof, wahrscheinlich um von da nach Stralsund in Huldigungs Angelegenheiten zu gehen.

1815: Den 22ten Oktober finde ich bemerkt, große Bewegung in unserer Einsamkeit: die Preußen, wahrscheinlich von den Preuß. Herrn zum Besuch, die die Besitznahme vorbereiteten, das Erndtefest u die Einladung von der Großmutter während der Huldigung zu ihr in die Stadt zu kommen. D. 13ten November begaben wir uns dahin, den 16ten wurde die Huldigung in der Nikolaikirche geleistet, der Minister von Jagersleben in dessen Begleitung der Geheim Rath von Schöning (der sehr gut aussah u die erste Polonaise oder Walzer mit mir tanzte) Präsident v. Rohr u noch viele andre Herren waren, nahm sie mit vieler Würde entgegen. Mein Vater war an der Spitze der Ritterschaft u war zu einer Deputation gewählt, die ihre Huldigung nach Berlin brachte. Fürst Putbus an der Spitze, der sich doppelte Diäten auszahlen ließ, u das Monopol der Heringssalzerei für sich nachsuchte, was aber nicht gelang; der Regierungsrath v. Langen-Parowi, H. v. Baggewitz von Rügen, Bürgermeister Kuhl v. Stralsund etc. D. 17ten gab Fürst Putbus einen Ball im Gouvernementshause was er seitdem bewohnte u den 18ten der Minister Jagersleben einen auf der Brauerkompagnie, wo damals der größte Saal in Stralsund war. Dieser mit souper fiel so brillant aus, daß er schon anfing mich zum Preußenthum zu bekehren, was später andern Leuten noch besser gelang. – Den Sonntag darauf ward in der Nikolaikirche ein Te Deum gesungen u den Abend war großer Thee bei meiner Großmutter. Den Montag war eine Maskerade im Schauspielhause, der wir in einer Loge beiwohnten, ein höchst langweiliges Vergnügen. Unter schwedischer Herrschaft waren sie nämlich verboten gewesen, seitdem Gustav III. auf einen Maskenball ermordet worden. Den 25ten verließen wir Stralsund, brachten 2 Tage in Falkenhagen bei der Tante Krastow zu, u huldigten u tanzten den 28ten in Greifswald auf einen Ball den die Stadt gab, der sich aber gar nicht mit einem Stralsunder Fest messen konnte. Den folgenden Tag hörten wir dort in einem Conzert Romberg den damals berühmtesten Violoniellisten, der die Glocke von Schiller komponirt hatte u kehrten den 30ten nach Carlsburg zurück. Den 12ten Dezember verließ uns mein Vater um nach Berlin zu gehen, u wir gingen den 23ten nach Stralsund zum Weihnachtsfest, wo meine gütige Großmutter uns mit schönen weißen shawls mit breiter Palmenkante beschenkte. Die Woche drauf war ziemlich ruhig, aber das Jahr wurde doch mit dem bekannten u mir so angenehmen Sylvester Ball  beschloßen. Hiermit beschließe ich auch das Jahr 1815, es war das Letzte welches wir beiden Schwestern mit der geliebten Mutter vereinigt erlebten.