Ein Konzert in der Marienkirche von Brandshagen gab uns die Gelegenheit, den Innenraum zu besichtigen, wo Caroline und die nachfolgenden Generationen der Bismarck-Bohlen regelmäßig, sooft sie sich in Niederhof aufhielten, zum Gottesdienst gegangen sein müssen, und die Schwester Julie auch dort konfirmiert wurde.
Also machten wir uns auf den Weg, um zunächst dem Dorf Niederhof, welches sich ganz in der Nähe befindet, nochmals einen Besuch abzustatten, dem Sommersitz der Familie Bismarck-Bohlen.
Beim ersten Besuch hatten wir an einer Führung des Archäologen Gunnar Möller teilgenommen. Er hatte den Fokus mehr auf die Zeit gelegt, als das Gut sich im Besitz des Stralsunder Unternehmers Joachim Ulrich Giese befand.
Zunächst ging es den schon bekannten Weg am Standort des heute zerstörten Rokokoschlosses vorbei, die Reste des Fundaments suchend,

zum Strand

und dem ehemaligen von Helene von Bismarck-Bohlen erbauten Strandschloss.
Am 26.09.1899 erscheint im Stralsunder Tageblatt folgende Meldung: Niederhof, 24. September. [Neubauten] an Stelle des sogenannten Strandkatens welcher in der Nacht vom 23. zum 24. Juli d. J. durch Blitzschlag eingeäschert wurde und in welchem acht Familien wohnten, werden jetzt auf dem Eschenberge drei stattliche Wohnhäuser für sieben Familien erbaut und sollen dieselben noch diesen Herbst fertig gestellt und bezogen werden. Die sämtlichen Bauarbeiten sind dem Maurermeister Herrn Weidner in Gützkow – von dem Besitzer des hiesigen Gutes dem Grafen von Bismarck-Bohlen in Karlsburg – übertragen. Auf der Brandstelle soll im nächsten Frühjahr noch ein Wohnhaus für den Gärtner des gräflichen Parkes und für den Fischereipächter erbaut werden. Die von dem Brandunglück betroffenen Gutsleute welche auf dem hiesigen Gute sowie in Brinkhof untergebracht worden ist von dem Herrn Grafen in hochherziger Weise gesorgt worden, indem dieselben sofort nach dem Brände hinreichend mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken versehen wurden und bis jetzt noch unterstützt worden sind.


In der Chronik über Niederhof von Ingeborg Wagner wird die Geschichte des Strandschlosses etwas anders erzählt: am 14. Juli 1899 brennt das alte Haus am Strand, der Wohnsitz der meisten Arbeitskräfte des Hofes durch Blitzschlag ab. Die Gräfin v. Bismarck-Bohlen (Gräfin Lenchen) erbaut die drei Leute Häuser im „Schweizerstil“ südlich der Koppel und für sich auf dem Platz des abgebrannten Hauses das neue Strandhaus, sehr hoch, dreigeschossiges Fachwerk mit rotem Schleppdach mit Blick auf den Strelasund.
Auf dem Rückweg besichtigten wir noch den ältesten jüdischen Friedhof an der deutschen Ostseeküste – sehr eindrucksvoll!

Dieses Feld ist der älteste erhaltene jüdische Friedhof an der deutschen Ostseeküste. Die verbliebenen Steine sind stumme Zeugen einer bewegten Geschichte. Zwischen 1776 und 1850 bestatteten Juden aus Stralsund, Greifswald und anderen vorpommerschen Orte[n], hier ihre Toten.
In ihren jeweiligen Heimatorten war ihnen in jenen Jahren das Bestatten verwehrt – hier allerdings, im damaligen Gut Niederhof ausdrücklich gestattet. Die Beerdigungsgesellschaften kamen zumeist mit kleinen Schiffen hier an, die am nahe gelegenen Ufer anlegten.
Wie viele Menschen hier ihre letzte Ruhe gefunden haben, ist nicht bekannt – sicherlich aber mehr als die 1990 feststellbaren 60 Grabsteine und Reste von solchen.
Die Umfriedung, 1999 angelegt, schützt die noch verbliebenen 26 Grabsteine von hohem kulturhistorischen Wert sowie den 1964 errichteten Gedenkstein.
Landesverband jüdischer Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern
Immer noch waren wir auf der Suche nach dem aparten hochgezogenen Giebel im Schweizerstil.
Nachdem wir uns bei Dorfbewohnern erfolgreich nach den Schweizer Häusern erkundigt hatten, ging es zurück zum Dorfanfang, wo eine Sackgasse rechter Hand zu den ebenfalls von Helene erbauten Wohnhäusern führte, die sie für die Angestellten und Arbeiter errichten ließ, nachdem das alte Haus am Strand abgebrannt war. Aber auch hier fanden wir den bizarren Giebel nicht, wenn auch die Häuser im Schweizerstil hübsch anzusehen waren.

Auf dem Rückweg vom Strandschloss hatten wir linkerhand weitere Gebäude entdeckt. Nun wollten wir uns rückversichern, dass wir auch nichts übersehen hatten. Also fuhren wir nochmals Richtung Strandschloss, ein Platz neben dem Eingangstor des ins Visier genommenen Grundstücks lud zum Halten ein. Und die Besitzer waren auch zu sehen. Mit unserer Frage nach dem besonderen Giebel gaben sie uns gern Auskunft über das Schicksal desselben.
Im darauffolgenden Gespräch stellte sich heraus, dass der Gebäudeteil des Strandschlosses mit dem hochgezogenen Dach am Ende so marode war, dass er abgerissen werden musste. Wie Schade!
Wir wurden hereingebeten und da der Vater der Besitzerin, der Sohn der oben schon erwähnten Ingeborg Wagner, gerade zu Besuch war, erfuhren wir von ihm einiges über die vergangene Zeit. Auch über die Kormorankolonie hatte er Interessantes zu erzählen. 1952 waren es acht Brutpaare, heute sind ungleich mehr.
Seine Mutter war wohl als Gärtnerin auf dem Gut angestellt gewesen und hatte eine Chronik über Niederhof verfasst. Dass wir ihren Sohn kennenlernen durften, war eine besonders freudige Überraschung. Wir standen also auf dem Boden der ehemaligen Gutsgärtnerei. Ein altes Bienenhaus und Teile des Gewächshauses erinnern noch an Helenes Wirken und die vergangene Zeit. Überhaupt hat Helene wohl die deutlichsten Spuren im Ort hinterlassen.


Herr Wagner konnte sich noch gut an das Schloss erinnern, das nach dem Krieg von Flüchtlingen bewohnt war, durch einen Schornsteinbrand in Flammen aufging und die Feuerwehr im Morast stecken blieb und zu spät kam.

An anderer Stelle in der Chronik von Frau Wagner, die nicht veröffentlicht und leider nur im Stadtarchiv Stralsund einzusehen ist, wird ausführlicher über die Besitzer und Besitzerinnen wie die Großmutter und Mutter von Caroline von Bismarck-Bohlen sowie die Geschichte des Gutes erzählt, was im folgenden zitiert wird: Die nachfolgenden Käufer von Niederhof, Ernst Sebastian von Klinkowström, danach Frau von Normann verwitwete von Walsleben, haben im weißen Schloß gewohnt. Dort wurde auch die Hochzeit ihrer Tochter Caroline mit Ludwig von Bohlen gefeiert, die 1795 im Brandshäger Kirchenbuch eingetragen ist. Frau v. Normann hat bis zu ihrem Tode 1839 das weiße Schloss bewohnt. Danach ihre früh verwitwete Tochter Frau v. Bohlen. Auch sie haben viele Gäste im Schloss gehabt.
So erzählt man aus der französischen Besatzungszeit 1806, daß die französischen Offiziere im Schloss gewohnt haben und auf Wunsch der Besitzerin den Hauptweg, in den man vom Balkon hineinsehen konnte, haben verlängern lassen, damit man den Strelasund nach Osten zu beobachten konnte. Da werden wohl zwei Wünsche gleichzeitig erfüllt worden sein. Der militärische Vorteil lag darin, schon frühzeitig die vom Greifswalder Bodden hochkommenden Schiffe ins Visier zu bekommen und sie dann von einem eigens stationierten Boot anhalten zu lassen. Es war die Zeit der Kontinentalsperre und jeder Seehandel mit England mußte unterbunden werden.
Da nach dem Wiener Kongreß Rügen und Vorpommern an Preußen kamen, wundert es auch nicht, daß ein preußischer König Friedrich Wilhelm IV. die Gräfin Bohlen besuchte, nachdem er einen Kuraufenthalt in Putbus beendet hatte. Eine Tafel mit diesem historischen Ereignis soll noch lange an der Linde auf dem Lindenberg gehangen haben.
Als Nachfolgerin der Carola [Caroline] v. Bohlen erhielt deren Enkelin, die Schwester des Grafen Alexander [Fritz] von Bismarck-Bohlen den Nießbrauch an Niederhof. Es war Carola [Caroline] v. Malorti[e], auch früh verwitwet, die Jahr für Jahr im Sommer im weißen Schloß mit ihren Kindern und Enkeln wohnte. Von ihr ist ein Gästebuch erhalten mit vielen Handzeichnungen und vielen Namen. Dieses wurde bis 1880-1907 geführt. 1900 hatte ihre Nichte Helene v. Bismarck-Bohlen nach dem großen Brand des „Alten Hauses am Strand“ den Nießbrauch an Schloß, Park und Gut abgelöst (ausgezahlt).
Für die vom Brand Betroffenen baute sie am Anfang des Dorfes neue Häuser und für sich auf der Brandstelle das Strandhaus. Das weiße Schloß wurde renoviert, Zentralheizung eingebaut, neue Fenster eingesetzt und dann zunächst an eine Schwägerin [Paulina war die Nichte, Schwester von Fritz Ulrich] die mit v. Dürkheim verheiratet war, vermietet. Auch sie haben mit vielen Gästen dort gelebt und Schloß und Park in guter Ordnung gehalten. Nach ihrem Fortgang wurde das Schloß an einen Herrn v. Klinkowström vermietet, der es wohl bis zum Anfang des Krieges bewohnt hat. Besitzer von Carlsburg und Niederhof war seit 1916 Graf [Fritz] Ulrich v. Bismarck-Bohlen. Als Ehrensenator der Universität Greifswald erlaubte er während des Krieges seine Schlösser zum Auslagern von Kunstschätzen und Bibliotheksbeständen zu benutzen. So war der berühmte Croy-Teppich zeitweilig in Carlsburg. Die klassischen Gipsabdrücke und viele Bücher lagen in Niederhof. Das weiße Schloß war schon ganz mit Efeu bewachsen, als mit Ende des Krieges Flüchtlinge aufgenommen wurden. In jedem Zimmer wohnte eine Familie. Die Zentralheizung funktionierte nicht und man sah aus vielen Fenstern Schornsteinstutzen von Kochherden herausragen. … Und so ist dann das Unglück passiert. Am 6. November 1947 Abends brach das Feuer aus.
Wie konnte ein Schloß aus Steinen gemauert so restlos abbrennen? Es war ein Unglück. In einem Kabinett war unter dem Schlepprohr aufgestapeltes Holz in Brand geraten. Die Panik unter Kindern und Müttern war groß. Der Weg zum Telefon, dem Postamt in Brandshagen, war weit. Die erste ankommende Feuerwehr blieb in dem unwegsamem Morastweg stecken. Eine zweite Feuerwehr, mühselig von Brandshagen aus angefordert, mußte erst die steckengebliebene aus dem Sumpf ziehen und erst dann konnte gelöscht werden. Nach getaner Arbeit fuhren die Feuerwehren wieder nach Hause. Aber ohne die notwendige Feuerwache glomm das Verderben weiter. Alles Brennbare ist im Laufe vieler Tage und Nächte neu entflammt, wurde gelöscht und brannte immer wieder, bis wirklich nur noch Steine und Metallteile übrigblieben.
Es war gut, daß die Universität ihre Bestände an Büchern und Gipsfiguren schon vorher abgeholt hatte. So sind doch unwiederbringliche Schätze erhalten geblieben. …
Auch Theodor von Bismarck-Bohlen berichtet im Hausbuch der Familie Bismarck-Bohlen über einen verheerenden Brand: Nachdem im July 1859 das Pächterhaus zu Niederhof und ein daneben stehendes Gebäude gänzlich von Feuer zerstört war, mit allem was darin war, brannte in der Nacht vom 9ten Mai ein Schaafschuppen daselbst gänzlich nieder, wobei 54 Schaafe des Nächtens umkamen. Das Feuer war ersichtlich angelegt. Der Pächter hat allerdings beide Gebäude, welche … versichert waren, wieder aufgebauet, jedoch natürlich nicht ohne daß ich ihm dabei, im ersteren Falle mit 200 rs, im letzteren mit 100 rs zu Hülfe kam, und außerdem noch an 800 rs zu dem Wohnhaus beitrug, damit dasselbe maßiv gebauet und eben so wie das Gebäude daneben, wo das Kornbecken angelegt wurde, mit Ziegeln gedeckt ward. Im Herbst d. J. konnte er das Wohnhaus beziehen, nachdem er so lange in dem Herrschaftlichen Haus gewohnt hatte, wo allerdings unten deshalb alles fast renoviert werden mußte, als er auszog.
Nach dem Tod Theodors von Bismarck-Bohlen 1873 erbte sein Sohn Friedrich (1818-1894) das Anwesen. 1894 ging das Erbe an Friedrich Carl (1853-1901) über. Nach seinem frühen Tod 1901 verließ seine Frau Helene Carlsburg und lebte einige Zeit in Niederhof. Zuletzt ging das Anwesen an Fritz Ulrich von Bismarck-Bohlen über.
Anschließend ging es weiter nach Brandshagen, wo wir in der Kirche ebenfalls einige Zeugnisse der Familie von Bismarck-Bohlen entdecken konnten.

Auf der rechten Seite hängt ein weiterer Teppich in ähnlichem Zustand.

Und ziemlich versteckt links unter der Orgel entdeckten wir einen Text an der Wand unter dem Gemälde mit einer Christusfigur:

Zum Gedächtnis des Patrons dieser Kirche, des Grafen Friedrich Carl von Bismarck-Bohlen liess seine Witwe, Gräfin Helene von Bismarck-Bohlen, geborene von Tiele-Winckler in den Jahren 1905-1906 dieses Gotteshaus im Innern erneuern. Die Maler Max Kutschmann und Albert Leusch in Friedenau, sowie der Architekt Hans Teichen in Breslau, führten das Werk aus; dazu die Handwerksmeister des Orts: Wilhelm Duchert, Ludwig Koch, Wilhelm Rabe, Wilhelm Schenk. Pastor war Ernst Schlapp, der Küster Ludwig Schumacher, Kirchenälteste: von Spalding, Hecht, von Russdorf, Friderici, Meinke, Freese.
Das Konzert war dann der Höhepunkt unseres gestrigen Ausflugs. Wunderbar!
