Ein Konzert in der Marienkirche von Brandshagen gab uns die Gelegenheit, den Innenraum zu besichtigen, wo Caroline und die nachfolgenden Generationen der Bismarck-Bohlen regelmäßig zum Gottesdienst gegangen sein müssen, und die Schwester Julie auch konfirmiert wurde.
Also machten wir uns auf den Weg, um zunächst dem Dorf Niederhof, welches sich ganz in der Nähe befindet, nochmals einen Besuch abzustatten, dem Sommersitz der Familie Bismarck-Bohlen.
Beim ersten Besuch hatten wir an einer Führung des Archäologen Gunnar Möller teilgenommen. Er hatte den Fokus mehr auf die Zeit gelegt, als das Gut sich im Besitz des Stralsunder Unternehmers Joachim Ulrich Giese befand.
Zunächst ging es den schon bekannten Weg am Standort des heute zerstörten Rokokoschlosses vorbei, die Reste des Fundaments suchend,
zum Strand
und dem ehemaligen von Helene von Bismarck-Bohlen (geb. am 27.09.1861 in Miechowitz; gest. 1933) erbauten Strandschloss,
In der Chronik über Niederhof von Ingeborg Wagner heißt es zur Geschichte des Strandschlosses: am 14. Juli 1899 brennt das alte Haus am Strand, der Wohnsitz der meisten Arbeitskräfte des Hofes durch Blitzschlag ab. Die Gräfin v. Bismarck-Bohlen (Gräfin Lenchen) erbaut die drei Leute Häuser im „Schweizerstil“ südlich der Koppel und für sich auf dem Platz des abgebrannten Hauses das neue Strandhaus, sehr hoch, dreigeschossiges Fachwerk mit rotem Schleppdach mit Blick auf den Strelasund.
Auf dem Rückweg besichtigten wir noch den ältesten jüdischen Friedhof an der Ostseeküste – sehr eindrucksvoll!
Immer noch waren wir auf der Suche nach dem aparten hochgezogenen Giebel im Schweizerstil.
Nachdem wir bei Dorfbewohnern erfolgreich nachgefragt hatten, ging es zurück zum Dorfanfang, wo eine Sackgasse rechter Hand zu den ebenfalls von Helene erbauten Schweizer Häusern führte, die sie für die Angestellten und Arbeiter errichten ließ, nachdem das alte Haus am Strand abgebrannt war. Aber auch hier fanden wir den bizarren Giebel nicht, wenn auch die Häuser im Schweizerstil hübsch anzusehen waren.
Auf dem Rückweg vom Strandschloss hatten wir linkerhand weitere Gebäude entdeckt. Nun wollten wir uns rückversichern, dass wir auch nichts übersehen hatten. Also fuhren wir nochmals Richtung Strandschloss, ein Platz neben dem Eingangstor des ins Visier genommenen Grundstücks lud zum Halten ein. Und die Besitzer waren auch zu sehen. Mit unserer Frage nach dem besonderen Giebel kamen wir ins Gespräch über das Schicksal desselben.
Da stellte sich heraus, dass der Gebäudeteil des Strandschlosses mit dem hochgezogenen Dach am Ende jedoch so marode war, dass er abgerissen werden musste. Wie Schade!
Wir wurden hereingebeten und da der Vater der Besitzerin, der Sohn von Ingeborg Wagner, gerade zu Besuch war, erfuhren wir von ihm einiges über die vergangene Zeit. Auch über die Kormorankolonie hatte er Interessantes zu erzählen. 1952 waren es acht Brutpaare, heute sind ungleich mehr.
Seine Mutter war als Gärtnerin auf dem Gut angestellt gewesen und hatte eine Chronik über Niederhof verfasst. Dass wir ihren Sohn kennenlernen durften, war eine besonders freudige Überraschung. Wir standen also auf dem Boden der ehemaligen Gutsgärtnerei. Ein altes Bienenhaus und Teile des Gewächshauses erinnern noch an Helenes Wirken und die vergangene Zeit. Überhaupt hat Helene wohl die deutlichsten Spuren im Ort hinterlassen.
Herr Wagner konnte sich noch gut an das Schloss erinnern, das nach dem Krieg von Flüchtlingen bewohnt war, durch einen Schornsteinbrand in Flammen aufging und die Feuerwehr im Morast stecken blieb und zu spät kam.
An anderer Stelle in der Chronik von Frau Wagner, die nicht veröffentlicht und leider nur im Stadtarchiv Stralsund einzusehen ist, wird ausführlicher über die Besitzer und Besitzerinnen wie die Großmutter und Mutter von Caroline von Bismarck-Bohlen sowie die Geschichte des Gutes erzählt, was im folgenden zitiert wird: Die nachfolgenden Käufer von Niederhof, Ernst Sebastian von Klinkowström, danach Frau von Normann verwitwete von Walsleben, haben im weißen Schloß gewohnt. Dort wurde auch die Hochzeit ihrer Tochter Caroline mit Ludwig von Bohlen gefeiert, die 1795 im Brandshäger Kirchenbuch eingetragen ist. Frau v. Normann hat bis zu ihrem Tode 1839 das weiße Schloss bewohnt. Danach ihre früh verwitwete Tochter Frau v. Bohlen. Auch sie haben viele Gäste im Schloss gehabt.
So erzählt man aus der französischen Besatzungszeit 1806, daß die französischen Offiziere im Schloss gewohnt haben und auf Wunsch der Besitzerin den Hauptweg, in den man vom Balkon hineinsehen konnte, haben verlängern lassen, damit man den Strelasund nach Osten zu beobachten konnte. Da werden wohl zwei Wünsche gleichzeitig erfüllt worden sein. Der militärische Vorteil lag darin, schon frühzeitig die vom Greifswalder Bodden hochkommenden Schiffe ins Visier zu bekommen und sie dann von einem eigens stationierten Boot anhalten zu lassen. Es war die Zeit der Kontinentalsperre und jeder Seehandel mit England mußte unterbunden werden.
Da nach dem Wiener Kongreß Rügen und Vorpommern an Preußen kamen, wundert es auch nicht, daß ein preußischer König Friedrich Wilhelm IV. die Gräfin Bohlen besuchte, nachdem er einen Kuraufenthalt in Putbus beendet hatte. Eine Tafel mit diesem historischen Ereignis soll noch lange an der Linde auf dem Lindenberg gehangen haben.
Als Nachfolgerin der Carola [Caroline] v. Bohlen erhielt deren Enkelin, die Schwester des Grafen Alexander [Fritz] von Bismarck-Bohlen den Nießbrauch an Niederhof. Es war Carola [Caroline] v. Malorti[e], auch früh verwitwet, die Jahr für Jahr im Sommer im weißen Schloß mit ihren Kindern und Enkeln wohnte. Von ihr ist ein Gästebuch erhalten mit vielen Handzeichnungen und vielen Namen. Dieses wurde bis 1880-1907 geführt. 1900 hatte ihre Nichte Helene v. Bismarck-Bohlen nach dem großen Brand des „Alten Hauses am Strand“ den Nießbrauch an Schloß, Park und Gut abgelöst (ausgezahlt).
Für die vom Brand Betroffenen baute sie am Anfang des Dorfes neue Häuser und für sich auf der Brandstelle das Strandhaus. Das weiße Schloß wurde renoviert, Zentralheizung eingebaut, neue Fenster eingesetzt und dann zunächst an eine Schwägerin [Nichte Paulina, Tochter von Fritz Ulrich und Elisabeth] die mit v. Dürkheim verheiratet war, vermietet. Auch sie haben mit vielen Gästen dort gelebt und Schloß und Park in guter Ordnung gehalten. Nach ihrem Fortgang wurde das Schloß an einen Herrn v. Klinkowström vermietet, der es wohl bis zum Anfang des Krieges bewohnt hat. Besitzer von Carlsburg und Niederhof war seit 1916 Graf [Fritz] Ulrich v. Bismarck-Bohlen. Als Ehrensenator der Universität Greifswald erlaubte er während des Krieges seine Schlösser zum Auslagern von Kunstschätzen und Bibliotheksbeständen zu benutzen. So war der berühmte Croy-Teppich zeitweilig in Carlsburg. Die klassischen Gipsabdrücke und viele Bücher lagen in Niederhof. Das weiße Schloß war schon ganz mit Efeu bewachsen, als mit Ende des Krieges Flüchtlinge aufgenommen wurden. In jedem Zimmer wohnte eine Familie. Die Zentralheizung funktionierte nicht und man sah aus vielen Fenstern Schornsteinstutzen von Kochherden herausragen. … Und so ist dann das Unglück passiert. Am 6. November 1947 Abends brach das Feuer aus.
Wie konnte ein Schloß aus Steinen gemauert so restlos abbrennen? Es war ein Unglück. In einem Kabinett war unter dem Schlepprohr aufgestapeltes Holz in Brand geraten. Die Panik unter Kindern und Müttern war groß. Der Weg zum Telefon, dem Postamt in Brandshagen, war weit. Die erste ankommende Feuerwehr blieb in dem unwegsamem Morastweg stecken. Eine zweite Feuerwehr, mühselig von Brandshagen aus angefordert, mußte erst die steckengebliebene aus dem Sumpf ziehen und erst dann konnte gelöscht werden. Nach getaner Arbeit fuhren die Feuerwehren wieder nach Hause. Aber ohne die notwendige Feuerwache glomm das Verderben weiter. Alles Brennbare ist im Laufe vieler Tage und Nächte neu entflammt, wurde gelöscht und brannte immer wieder, bis wirklich nur noch Steine und Metallteile übrigblieben.
Es war gut, daß die Universität ihre Bestände an Büchern und Gipsfiguren schon vorher abgeholt hatte. So sind doch unwiederbringliche Schätze erhalten geblieben. …
Anschließend ging es weiter nach Brandshagen, wo wir in der Kirche ebenfalls einige Zeugnisse der Familie von Bismarck-Bohlen entdecken konnten.
Auf der rechten Seite hängt ein weiterer Teppich in ähnlichem Zustand.
Und ziemlich versteckt links unter der Orgel entdeckten wir einen Text an der Wand unter dem Gemälde mit einer Christusfigur:
Das Konzert war dann der Höhepunkt unseres gestrigen Ausflugs. Wunderbar!
Gelesen und für interessant befunden ! Warum soll man sich nicht mit der lokalen Historie beschäftigen !?