

Helene wurde am 27. September 1861 im oberschlesischen Miechowitz als fünftes von neun Kindern geboren, gestorben ist sie am 26. April 1933 im vorpommerschen Neuzarrendorf südlich von Stralsund.
Kindheit und Jugend
Die Familie Tiele-Winckler, ursprünglich aus Mecklenburg, hatte sowohl Güter im Oberschlesischen Miechowitz und Moschen als auch mehrere Besitztümer im Mecklenburgischen Lebbin, Vollrathsruhe und weiteren Orten. Helene wurde in eine der reichsten Großindustriellenfamilien Deutschlands hineingeboren. Den Reichtum erwarben die Tiele-Wincklers durch Bergbau und Grundbesitz.
Die bekannteste der neun Geschwister war wohl die zweitjüngste Tochter, Eva, eine der ersten leitenden Diakonissinnen in Deutschland. Über sie und von ihr gibt es zahlreiche Literatur. So kann man das, was über ihre Eltern und die Kindheit geschildert wird, leicht auch auf die ältere Schwester Helene übertragen, auch wenn über sie selbst bisher nur wenig bekannt ist, was mit diesem Beitrag nun geändert werden soll.
Über die elterliche Erziehung heißt es, sie sei mit viel Liebe seitens der katholischen Mutter aber auch Strenge seitens des protestantischen Vaters aufgewachsen. In dem Aufsatz von Ute Gause: „Eva von Tiele-Winckler (1866-1930) Leidenschaftliche Christin, engagierte Diakonisse und Mutter der Friedenshortdiakonissen“ [Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg / Häusler, Michael 2013] werden die Eltern so beschrieben:
„Die Mutter Valeska von Winckler (1829 – 1880) war für ihre Zeit hochgebildet, musikalisch und von einem mystischen Katholizismus geprägt. Sie beschäftigte sich nicht nur mit der antiken Philosophie und dem Nibelungenlied, sie las auch Johannes Tauler und etliche Kirchenväter. Außerdem interessierte sie sich für Naturwissenschaften und nahm Privatunterricht in den Fächern Physik, Chemie und Astronomie. Schon mit 24 Jahren stand Valeska von Winckler als Waise und reiche Erbin alleine da. Sie gab Abendgesellschaften und pflegte eine weltoffene Geselligkeit. Am 7. Dezember 1854 heiratete sie den Offizier Hubert von Tiele, Evas Vater, der aus verarmtem ostpreußischem Adel stammte.“
Die Charaktere der beiden waren kontrastreich: »Es verbanden sich Schlesiertum und Preußentum, … Katholizismus und Luthertum, Idealismus und Realismus, Gefühl und Härte, Offenheit und Verschlossenheit, Lebensfreude und kantisches Pflichtbewusstsein [ … ].War Evas Mutter die Milde und Güte selbst, so der Vater ein Mann, der zum Herrschen geboren war, aus Pflichtgefühl streng, ja hart. Doch in seiner Gerechtigkeit strafte er nie im Affekt, dafür aber mit Konsequenz. Seine Kinder wurden in spartanischer Härte und Einfachheit erzogen.“
Seit Anfang der 70er Jahre lebten die Tiele-Winckler auch in der Berliner Regentenstraße, besaßen da ein Palais, welches nach ihnen benannt war. Die intensive Vernetzung des Adels brachte es wohl auch mit sich, dass sich Helene und Friedrich Carl Graf von Bismarck-Bohlen, der um 1880 in Berlin lebte, hier und da begegneten.
Über die Begegnung oder das Kennenlernen Helenes mit Friedrich Carl ist nichts bekannt. Im Hausbuch der Familie Bismarck-Bohlen finden sich einige Einträge zu dem Paar:
Am 27ten Januar 1880 verlobte sich unser lieber ältester Sohn Friedrich Carl in Berlin mit Helene von Thiele-Winckler, zweiten Tochter des großherzoglich Mecklenburg. Schwerinschen Oberstlieutnant … von T[iele] W[inckler] u. der Frau Valeska, geborene v. W[inckler] zu unserer großen Freude, am 31ten Januar kam die liebe junge Braut (18 Jahre) mit Fried. C. u. seinem Schwiegervater zu uns nach Carlsburg. Leider war ihre vortreffliche Mutter sehr leidend u. schon am 18ten März starb sie in Berlin. –
Am 1ten September Hochzeit von Friedrich Carl u. Helenchen. … Gottes reichsten Segen über unser junges Paar!
Im Sommer 1883 erkrankte Friedrich Carl schwer, ließ sich à la suite stellen zur Herstellung u. ging mit Lenchen nach Blücher der Besitzung seines Schwiegervaters des Obersten v. Tiele, was derselbe gütiger Weise ihnen auf 1 ½ Jahr zum Wohnsitz überließ, wo Fr. C. unter dem dortigen tüchtigen Administrator sich etwas mit der Landwirtschaft beschäftigte.

1886 Fried[rich] Carl hatten wir auch die Freude den ganzen Winter bei uns zu haben, nach einer 3monatlichen Dienstzeit im 2ten Kurassier Regt ward er im August als aggr. Rittmeister in das 2te Dragoner Regt nach Schwedt versetzt, wo Lehnchen mit ihm seit September ihr Domicil aufgeschlagen haben.
Karlsburg
Am 9. Mai 1894 starb sein Vater Friedrich Carl Ernst Philippe Alexander Graf von Bismarck-Bohlen auf Carlsburg und Friedrich Carl wurde Erbe des Carlsburger Fideikommisses.

Im gleichen Jahr trat Friedrich Carl sein Erbe, die Carlsburger Güter, an und verließ als Major den Militärdienst, und siedelte mit Helene von Schwedt nach Carlsburg über.
Über die Modernisierung des Karlsburger Schlosses, die auf Friedrich Carl, aber vor allem – wie sich aus dem Hausbuch ergibt – auf Helene zurückzuführen sind, gibt es leider nur wenige Unterlagen. Einige Zeichnungen stammen aus dem Jahr 1895, also der Zeit, in welcher Friedrich Carl und Helene schon in Carlsburg lebten und mit dem Umbau des Schlosses begonnen hatten: ein Gartenhydrant mit Standrohr, eine Dampfpumpe und Kesselanlage und eine Be- und Entwässerungsanlage für das Rittergut Carlsburg, alle 1895 angefertigt.
Schon in der Karlsburger Zeit wird Helenes nachhaltiges Wirken, ihr unermüdliches Streben nach Verbesserungen, ihr Verantwortungsbewusstsein, ihre Liebe und Güte für die Dorfbewohner und die Armen sichtbar.
Die folgenden Jahre sind von Caroline von Malortie relativ ausführlich im Karlsburger Hausbuch dokumentiert worden, die in Ausschnitten an dieser Stelle zitiert werden sollen.
1895. beginnt des Umbaus des Carlsburger Schlosses deßen Nothwendigkeit schon lange gefühlt ward, doch gehörten junge Kräfte dazu, um es in Angriff zu nehmen. Es ist wunderbar mit welcher Einsicht und Umsicht und mit welcher Pietät für die Vergangenheit Lenchen den Bau leitete.
1896. ist der Umbau des Schlosses vollendet und durchaus gelungen. Eine große Freude war es mir, Zeuge zu sein wie Caroline Arnim u Marie Kanitz entzückt davon sind, und Alles war Lenchens Werk.
1896. Es entsteht unter Lenchens Leitung eine sehr ersprießliche Umgestaltung der Dörfer der drei Güter, umzäunte Gärten und Vorgärten mit freundlichen Bänken, zeugen für die Zufriedenheit der Bewohner.
1896. Ein Hauptschmuck des Parks ist ein großes Rokoko Thor von Schmiedeeisen, nach Lenchens Zeichnung entworfen.

1901. Da Elsi Bismarck, als Vormünderin … des Fritz Ulrich, geb. 1884, einziger Sohn des 1894 verstorbenen Theodor Bismarck, Carlsburg mit ihren 2 Töchtern bezieht, verließ Lenchen Anfang Juni ihre heiß geliebte Heimath. Schweren Herzens riß sie sich los von der Stätte die sie so unsäglich liebt u wo sie so viel geschaffen hatte. Die Trennung von ihrem geliebten Wald war eine unerträglich schwere, u nicht minder die von den vielen Gutsangehörigen, denen sie eine Wohlthäterin war. Sie hatte an 3 Abenden auf den 3 Gütern eine kl. Abschiedsfeier die tiefergreifend war u an denen alle Bewohner Theil nahmen. Als bleibendes Andenken hat Lenchen in Zarnekow eine Thurmuhr mit Schlagwerk gestiftet, deren Klang die Leute am ihre treu sorgende Herrin erinnern wird!
Bevor Helene Karlsburg verließ, trug sie unter dem 5. August 1901 folgende Gedanken ins Hausbuch ein, die deutlich machen, wie sehr sie bedauerte, das Gut verlassen zu müssen.
Ehe ich morgen das Hausbuch in die Hände meiner lieben Schwägerin! Elsi Bismarck Bohlen und ihres Sohnes Fritz Ulrich lege – möchte ich auch an dieser Stelle einen Segenswunsch einfügen.
Einen Segenswunsch für mein Carlsburg!
Erfüllt davon, wieviel ich an einem Teil, an den geliebten Gütern und an ihren Bewohnern versäumte, – Kann ich nur Gott bitten, die Fehler die ich machte, zuzudecken, und nur die Liebe anzusehen. Große Liebe war da, das darf ich wohl sagen – und hohen Willen hatten wir, den Gütern in echtem Sinne zu dienen.
Und nun bin ich dankbar, dass ich auch in Niederhof neue Arbeit fand, die ich im Andenken an meinen lieben Friedrich-Carl und im Aufblick zu Gott verrichten kann in der Hoffnung, dass sie dazu dienen möchte, ein oder das andre Menschenherz Ihm zuzuführen.
Niederhof
Niederhof gehörte ursprünglich der Großmutter von Caroline von Bohlen, Susette von Normann geborene Waitz von Eschen, die das Gut 1790 nach dem Tod ihres ersten Mannes, Dethloff von Walsleben, kaufte. Nach ihrem Tod 1839 erbte es ihre Tochter Caroline von Bohlen, die Mutter von Caroline. 1857 ging es dann in den Besitz der Bismarck-Bohlen über. Als Helenes Mann Friedrich Carl 1901 starb, war es naheliegend, dass Helene – wie alle Witwen zuvor – Carlsburg zugunsten des Erben – Fritz Ulrich von Bismarck-Bohlen (FUBB genannt) – verlassen musste, um in Niederhof einen neuen Wirkungskreis zu finden. Diese ca. acht Jahre, die sie in Niederhof lebte, haben in der Geschichte der Gemeinde Brandshagen viele Spuren hinterlassen. An dieser Stelle folgen nun Auszüge aus den Aufzeichnungen des Ernst Schlapp, der ab 1904 Pfarrer in Niederhof war. [In: Matthias Wennrich: Brandshagen. Die Geschichte eines vorpommerschen Dorfes, S. 274ff, 2025 Evangelische Kirchgemeinde Brandshagen]: Die Gräfin Bismarck wohnte ursprünglich nicht in der Gemeinde Brandshagen. Vielmehr lebte sie in Carlsburg, dem Hochsitz der Patronen unserer Kirche und wir hatten sie Jahre lang überhaupt nicht gesehen. Ein Blitzschlag der im Juli 1899 den großen Strandkaten in Niederhof einäscherte, gab ihr Anlaß sich um Niederhof zu kümmern. Zunächst bestimmte sie ihren Gemahl dem Pächter gegen entsprechende Absteuer die Pachtung abzunehmen und das Gut durch eigene Beamte verwalten zu lassen.

An die Stelle d. Strandkaten wurde ein umfangreicher interessanter Bau mit reicher Holzarchitektur und einem gewaltigen Ziegeldach ausgeführt. Ein Flügel sollte den gräflichen Herrschaften als Absteigequartier dienen – im Schloß wohnte die alte Baronin v. Malortie, geb. Grf. Bismarck-Bohlen – und zu einem anderen Teil als Erholungsheim für Diakonissen, ? und sonstig Bedienstete dienen. Der übrige Teil d. großen Gebäudes war für Fischer und Gärtnerwohnungen bestimmt. Die Arbeiterwohnungen wurden in neuere mustergültig schmucke und praktische 2 Familienhäuser gelegt, die sie landeinwärts am Wege nach Brandshagen erbauen ließ. Die Zeichnungen für alle Bauten hatte die ästhetisch sehr angeregte Gräfin sämtlich selbst angefertigt. Im August 1900 wurde ein großes Kirchfest am Strande gehalten. Aber noch ehe das Strandhaus fertiggestellt war, starb plötzlich der Carlsburger Graf. Die Gräfin mußte dem jungen Fiedeikommiß-Erben Raum geben und verließ Carlsburg. Sie entschloß sich nach Verhandlungen mit der ? Tante, der genannten Baronin Malortie, ganz nach Niederhof überzusiedeln und baute nun das Strandhaus für ihren privaten Gebrauch um. Seitdem ist sie Gemeindeglied in Brandshagen.
Mit ihrem Namen ist unauslöschlich verbunden die Erneuerung der alten ehrwürdigen Kirche. Die Gräfin hatte eine sehr offene Hand. Während meiner Pfarrtätigkeit hatte ich stets reichliche Mittel für jede Art v. Wohltätigkeit und Aushülfe durch ihre Güte und ?. Und daneben tat sie ja noch unzähligen Hilfesuchenden,die tagtäglich nach N. wallfahrten, viel Gutes an. Vielleicht hie und da zu viel denn vielfach beobachtete man, daß auch besser studierte,wenn sie in Gelegenheiten kamen, die Möglichkeit der Selbsthilfe garnicht in Betracht zogen. Man ging zur Gräfin das war die Schattenseite, die man auch übersehen konnte. Auf einem Spaziergang im Park v. Niederhof […] fragte die Gräfin mich, was sie selbst der Gemeinde Brandshagen für eine große Wohltat antun könne. Mir kam der Gedanke an die Erneuerung der alten herrlichen Kirche, die es verdiente in verjüngt Pracht auch einmal neu zu erstehen. Die Gräfin schien bereit, und es war auch das Verständnis ihres Gatten, daß er die Erneuerung feierlich der Gemeinde ankündigte. Nach dem Tod d. Grafen kamen ihr Bedenken. Sie möchte nicht gerne den neuen Patron in den Schatten stellen. Durch ihre starke Neigungen zur „Gemeinschaftsbewegung“ richteten sich ihre Gedanken auch auf die Feststellung einer großen Versammlungshalle. Kurz sie wich jahrelang der Ausführung des alten Planes aus. Eine Aufforderung der Kirchenbehörde an die Gemeinde etwas ernstlicher für die Instandsetzung des nicht mehr würdigen Kirchen-Inneren zu tun gab dann aber doch im Jahr 1905 den Anstoß, daß das Werk begonnen wurde.
Die gültigen Spenderin der Mittel für die Erneuerung hatte ca. 24000 Mark geopfert, um das ehrwürdige Gotteshaus wieder zu einem geziemenden Schmuck zu verhelfen.
Viele schöne Ausstattungsgegenstände stiftete die Gräfin Bismarck noch im Laufe der Zeit. Soden kostbaren persischen Altarteppich und eine ebensolchen in der Taufkapelle. Desgleichen sämtliche Leuchter und einen großen Kronleuchter im Schiff, alte Arbeit, die sich in ihrem Besitz befand. Für alle Zeit hat sie sich in der Gemeinde Brandshagen mit ihrem Werke, das sie in piam memoriam ihres zu früh verstorbenen Gatten durchführte, ein Denkmal gesetzt.
Ein Bericht der Greifswalder Zeitung über den Tag der Kirchweihe: „Die erheblichen Kosten wurden durch ein vermögende Gemeindeglied getragen. … Noch in der Taufkapelle überreichte der Herr Generalsuperintendent der Frau Gräfin Bismarck-Bohlen in Niederhof das ihr von Ihrer Majestät der Kaiserin verliehene Frauenverdienstkreuz und zwei Handschreiben aus dem Kabinett der Kaiserin.“
Bis 1910 lebte Helene noch im Strandschloss. Durch die liebevolle Pflege der Gräfin von. B. B. ist der Niederhöfer Park wundervoll geworden, eine Stätte der Erholung für uns!
Dann zog sie fort, möglicherweise um in Marschallen ein neues Betätigungsfeld zu finden.
„Kl. Ansprache gehalten am 1. Juli 1910 von FUBB Niederhof Schloßsaal
Mein liebes Tante Lenchen,
wenn ich mir vorgenommen habe, Dir bei Deinem Scheiden von Niederhof einen etwas feierlichen Abschiedsgruß zuzurufen, so muß ich sagen, daß mir diese Aufgabe jetzt sehr schwer – fast unmöglich – wird, denn nach allem was ich soeben gesehen und in mich aufgenommen habe, ist mein ganzes innere von einem Gefühle erfüllt und völlig eingenommen von dem heißester Dankbarkeit, reinen Dankes für alles das Gute was du hier gewirkt hast. Trotzdem möchte ich versuchen auch einige andere Punkte hervorzukehren, die mein Herz bewegen.
Der heutige Tag ist bedeutungsvoll für mich, bringt er mich doch in besonders nahe Beziehungen zu Niederhof, das ich schon seit langem liebe und dass ich dank deiner Güte besonders in den letzten Jahren oft habe besuchen dürfen. Ungleich bedeutungsvoller ist der Tag aber, glaube ich für dich, die du im Begriffe stehst dich heute – wenigstens körperlich von einer Stätte zu trennen, an der du viele und ich glaube es sagen zu dürfen, auch schöne Stunden deines Lebens verbracht hast. Dass diese Trennung aber – wenigstens von unserer Seite – nur eine Äußere ist, dass du innerlich ganz die unsere bist und immer bleiben wirst, das kann ich dir fest versichern. 2 Gefühle sind es vor allem, die dich an unsere Herzen ketten, das Gefühl der Liebe für dich, das gerade in den letzten Jahren, wo wir uns häufiger sahen und innerlich einander näher getreten sind, so sehr zugenommen hat und das der unauslöschlicher Dankbarkeit für das, was du einst in Karlsburg und jetzt in noch reicherem Masse hier in Niederhof gewirkt und geschaffen hast.
Und wenn es nicht so wäre und wenn es möglich sein sollte – aber ich wiederhole ausdrücklich, dass dieser Fall niemals eintreten wird – dass unsere Dankbarkeit dir gegenüber verlösche, So hast du doch dafür gesorgt, dass man dich in Niederhof nicht vergessen kann. – Die wundervollen Anlagen und Bauwerke die deinem Kunstsinn und Deiner Liebe ihre Entstehung verdanken, werden nach Gottes Willen von deinem Wirken zeugen, wenn wir alle längst nicht mehr sind. Sowie wir heute bewundernd und voll Dankes auf die Häuser blicken, die unsere Vorgänger vor 200 und mehr Jahren errichteten und die noch heute uns durch ihre Schönheit und Zweckmäßigkeit erfreuen, so mögen auch hier einst unsere Nachkommen stehen und dankbar der Vorfahrin gedenken, die so herrliches, dauerndes einst geschaffen hat.“
Zum Andenken an Niederhof überreichte Fritz Ulrich dann noch mehrere Zeichnungen von Hans John.


Neuzarrendorf
„Noch in Niederhof lebend, kaufte Helene „1906 und 1907 von ihrem Witwensitz Niederhof aus, 2 Büdnereien auf dem heutigen Trägergelände in Zarrendorf. Erstmals 1909 kamen Schwesterfrauen und besuchten Kranke, hielten Stunden für Kinder, Jungfrauen und Frauen. 1910 wurden die ersten beiden Kinder zur Betreuung im Kinderhaus aufgenommen, worin auch ein Landwirt wohnte.
Die Kindergruppen wuchsen und die in 1906 gekaufte Büdnerei wurde das Knabenhaus (Abriss in 1997). Im Jahr 1913 wurde die „Halle“ (siehe Bild) fertig. 1924 zog die Gräfin, auch genannt als Tante Lenchen, von Marschallen in die „Kinderheimat“.“ [Lebensräume-Verein.de]

Nach Helenes Tod ging das Stift „Kinderfeude“ in die Stiftung Friedenshort in Miechowitz (Oberschlesien) über.
Zwischen dem Weggang Helenes von Niederhof und ihrem Aufenthalt in Neuzarrendorf gibt es eine Zeitspanne, die etwas im Dunkeln liegt. Auf der Webseite des Vereins Lebensräume, Neuzarrendorf, wird erwähnt, dass Helene erst 1924, von einem Kinderheim in Marschallen (in der Nähe von Posen oder Breslau) kommend, ihren Wohnsitz im Stift „Kinderfreude“, Neuzarrendorf nahm. Über Marschallen selbst konnte ich bisher so gut wie keine Informationen finden. In einem Brief an Fritz Ulrich gibt es einen Hinweis auf Marschallen. 1929 scheint ein ehemaliger Zögling Helenes auf die schiefe Bahn geraten zu sein. Er hatte ein Fahrrad gestohlen und ein von ihr für das rumänische Konsulat ausgestelltes Schreiben für Bettelei missbraucht. Johann der kleine Zigeuner: Knabe wurde als Kind von meiner Schw. Eva aus Mitleid aufgenommen. (Der Vater war Bärenführer, Mutter gestorben) Dann kam er nach Marschallen. – Meist waren dort 60 bis 80 Kinder in Pflege, hier nur 19! 5 Jungen haben in den Jahren viel Sorge u. Kummer bereitet. Johann gehört zu ihnen. Er gefiel mir hier nicht, zeigte keine Reue. Ich sprach ihn nur im Garten, sehr ernst u. streng wohl ½ Stunde. Er durfte das Haus nicht betreten, sandte ihm dann den erbetenen Schein für das Consulat u. 5,00 RM zur Rückkehr nach Berlin. Ich schreibe Dir dieses mit trauerndem Herzen. Möchte er noch einmal umkehren u. ein neues Leben beginnen, mit der Hülfe Gottes! Ich muss leider heute kurz schließen, da meine Hand durch rheum: Schmerzen etwas behindert ist.
Weitere Einzelheiten über Helenes Stift „Kinderfeude“ konnte ich der „Ortschronik Zarrendorf 1937“ von Franz Wilde entnehmen:
Nur das seit Jahrzehnten wenig kirchliche Neu=Zarrendorf erlebte nach 1900 eine Erweckungsbewegung, die von der Gräfin Helene von Bismarck-Bohlen auf dem am Sunde gelegenen Niederhof ausging. Sie nahm sich der vernachlässigten Armen mit eigener Hand an. Sie kaufte eine Halbbauernstelle und baute die Gebäude in einem edlen ländlichen Stile aus. Hier legte sie ganz im Geiste und Sinne ihrer herzensfrommen und werktätigen Schwester, der bekannten Gräfin Tiele-Winckler, ein Kinderheim an und ließ regelmäßig Andachten halten. Das „Gräfliche“ wurde für den Osten der grossen Doppelgemeinde eine Stätte christlicher Gemeinschaft.
Einige wenige Briefe von Helene an Fritz Ulrich und seine Mutter Elisabeth habe ich im Pommerschen Landesarchiv Greifswald gefunden. Eine besonders eifrige Briefschreiberin war sie wohl nicht.
1915 erreicht Auguste Viktoria von Bismarck-Bohlen ein Brief aus Marschallen, BZ: Bukownica, Kreis Schildburg (Posen).
1928 ein Brief an Auguste Viktoria: Fr. Carl und ich liessen uns aus einer Carlsburger Eiche je einen Sarg zimmern. (Fr. Carls Eltern und Gross: Eltern taten dasselbe) Es war uns ein trauter Gedanke, dass unsere äussere Hülle ruhen dürfte auf dem stillen (Niederhöfer) Steinfurter Friedhof – in dem Holz einer heimatlichen Eiche, die wir liebten u. die wir öfter gemeinsam besucht hatten. Also diesen Sarg wollt Ihr mir gütigst, geleg: per Fracht nach Station Elmenhorst senden lassen.
In einem weiteren Brief an Auguste Viktoria bedankt sie sich für die Übersendung des Sarges aus der Carlsburger Eiche, welche wohl verpackt hier eintraf. Über ihr Stift berichtet weiter unten: Uns geht es auf unserem lieben kleinen Bauernhof gut. – Unsere Winter: Saaten grünen! Nach dem Fest beginnt dann mit aller Kraft das Säen und pflanzen in Feld u. Gärten.
In der warmen Frühlings: Sonne wird Gott der Herr sie erblühen lassen. – Man musste sie im finsteren Raum im Stroh suchen bis man sie fand. Die Mutter gab ihnen Branntwein, damit sie schliefen. –
1929. In einem Brief an Fritz Ulrich schildert Helene den Beginn der Erntezeit: In kommender Woche wollen wir die Frühkartoffel: Ernte beginnen. Groß u. Klein ist in froher Erwartung! – Es sind besondere Fest. Tage für uns. Die Kleinen umringen uns, die mit Begeisterung „Hackenden“ , auch die Mahlzeiten werden auf dem Felde eingenommen. Kommt der ersehnte Regen so flüchtet man unter die Wagen, u. am Abend erfreut ein Feuer u. Kartoffeln i. d. Asche gebraten uns alle. Singend geht es dann nach Hause u. Dankbarkeit erfüllt die Herzen!
„Bericht des Fritz Ulrich von Bismarck-Bohlen über die Beisetzung von Helene Gräfin Bismarck Bohlen“.
„Am Mittwoch, 26. April 1933 war Tante Lenchen in ihrem Stift „Kinderfeude“ zu Neuzarrendorf um 5 ¾ Uhr Nachmittags in tiefem Frieden heimgegangen. An ihrem Sterbelager weilten ihre Hausgenossen und von der Familie Tola (Victoria B.B. -Karlsburg). Die Aufbahrung der Verschiedenen fand in dem von Ihr schon vor Jahren beschafften Sarge im Betsaal des Stiftes statt, wo auch die von dem Gemeindegeistlichen, Herrn Pastor Hoefs – Elmenhorst abgehaltene Trauerfeier am Freitag nachmtg. um die Sterbestunde vor sich ging. Ihr wohnten ausser den Hausgenossen und Schwester Annie aus Miechowitz hauptsächlich Gemeindemitglieder und nähere Nachbarn bei. Am Sonnabend Vormittag wurde der Sarg durch ein Niederhöfer Gespann nach Stralsund überführt und hier in der Kirche des historischen Johannisklosters, welche die Abmessungen einer grossen Dorfkirche hat, aufgebahrt. Die Trauerfeier hier vollzog, da der erst gebetene Pastor Thiele – Berlin infolge Verhinderung nicht hatte kommen können, der Stralsunder Stadtsuperintendent Herr Schumacher. Gegen 3 ½ Uhr sammelte sich um den überreich mit Kränzen geschmückten Sarg eine grosse Trauergemeinde, welche die Kirche vollständig füllte. Von Verwandten nahmen an der Feier teil: die Schwägerinnen Helene – mit Töchtern Ilona Boyneburgk und Erika -, Auguste, Dora – mit Sohn Oskar -, Nichte Schw. Jutta Berlepsch, Fritz-Ulrich und Tola, ferner Schw. Selma Groeben, Marie Behr-Fritzow und Isa Reden-Morsleben. Ausser Schw. Annie waren viele Friedenshort-Diakonissinnen und andere Schwestern, die derzeitigen und zahlreiche frühere Pflegekinder, mehrere Gutsnachbarn von Niederhof und sehr viele Stralsunder, hauptsächlich auch aus den einfacheren Kreisen erschienen. Der Landrat Dr. Brauns legte namens des Kreises Grimmen einen grossen Kranz am Sarge nieder. Eine Abordnung des Evangelischen Arbeitervereins Stralsund war mit der Fahne erschienen, die T. Lenchen ihm vor Jahren gestiftet hatte. Die Trauerfeier wurde verschönt durch Orgelspiel von Frl. v. Chevallerie – Stralsund und Vorträge des Chors der christlichen Gemeinschaft daselbst. Im Mittelpunkt der Feier stand die Rede des Superintendenten über das von der Heimgegangenen selbst gewählte Bibelwort: „Die Wege des Herrn sind vollkommen“. Die ausgezeichnete Ansprache war sehr persönlich gehalten und ganz im Sinne der Verstorbenen, als der Redner T. Lenchen nur einmal im Leben gesehen hatte. Die Gemeinde sang die gleichfalls vorher bestimmten Lieder: „Ich will Dich lieben, meine Stärke“ und „Schönster Herr Jesu“. – Der offene Leichenwagen war bespannt mit vier prachtvollen Schimmeln, die wir mit Rücksicht auf T. Lenchens grosse Pferdeliebe mit Vorbedacht ausgewählt hatten; Ihrer eigenen Bestimmung entsprechend gingen die vom Bock gefahrenen schönen Tiere ohne Trauerdecken. Der lange, aus zahllosen Fussgängern und vielen Fahrzeugen bestehende Leichenzug passierte unter Geläut der St. Nicolai-Glocken den schönen alten Markt und bewegte sich dann nordwestwärts zum Knieper Friedhof. Für den halbstündigen Zug dorthin und die unmittelbar anschließende Beerdigung war es besonders erfreulich, dass den ganzen Tag herrlichstes Sonnenwetter herrschte. Das Grab befindet sich in dem von T. Lenchen selbst ausgewählten Bezirk des älteren Friedhofsteiles. – Wir glaubten uns dem wiederholt von T. Lenchen ausgesprochenen Wunsche, in Stralsund bestattet zu werden, nicht widersetzen zu dürfen, wenn es für uns auch immer schmerzlich bleiben wird, dass sie nicht an der Seite ihres Mannes auf dem von Ihr selbst so weihevoll ausgestalteten Familienbegräbnisplatz in Steinfurth ihre letzte Ruhestätte gefunden hat. Kbg., 30.4.33 FUBB“



gepflanzt, dann setzt man auf Bänke eine Menge Fässer, die die trocknen Früchte, Kastanien, Wall-Hasel-Nüsse etc: enthalten; den Hintergrund der so wie die Bandboutiquen bei uns arrangiert ist, füllen Körbe mit Rosinen, Feigen, und andern Früchten; sehr oft findet man Kürbis Guirlanden mit buntbebänderten Weinflaschen abwechselnd, und mit bouquets von Lorbeer. Die Liqueurbuden hängen ihre bunt gefüllten, mit rosa Bänderei decorirten Flaschen, mit grünen Guirlanden festonartig auf, die Käse=, Milch= oder wie sie es nennen, latticeriebuden machen auch ungewöhnliche frais,
die so gestalteten Käse werden in festons mit Orangen-Blättern aufgereiht, und in Guirlanden über der Thüre und auf die Straßen hinausgehangen, die wurden zu Säulen gefügt, dazwischen Quasten von andern Lebensmitteln z.B. Würsten. Auf St. Brigida jedoch ist der ärgste Spektakel, hier sind die Fischer in großer Masse mit unendlichen Körben versammelt in welchen sie ihren glänzenden Fang ausbieten, Fische aller Größe, Farben und Formen, sieht man hier, lange, breite, kurze, runde, kleine, Hummer und Aale, füllen die Straßen, jeder Fischer schreit dazu aus Leibeskräften, dazwischen ungeheure Ladungen frischer Gemüse, theils auf der Straße abgeladen, theils auf sauber, thurmfach bepackten muntern Eseln in Reihe und Glied. Weißer, grüner, violetter Blumenkohl, Welschkohl, Mohrüben, weiße Rüben, auf dem Rücken der Grauschimmel noch einmal so hoch als sie selbst aufgeladen, trampeln zwischen den Fischern hin und her; diese mit ihren roth und braunen Mützen, lebhaften sprechenden Zügen, ungeheuern Geschrey geben ein lebendiges Bild des Südens; der blaue Himmel, die sanfte Luft alles bildet einen sonderbaren Contrast für den Nordländer mit unserer düsteren Natur zu dieser Zeit. Nächst den Lebensmitteln sind es Raketen, Schwärmer, Feuer-Räder, die am meisten Abgang finden und wozu? lernte ich später. Ob die Sitte des Bescheerens hier wie bei uns statt findet, weiß ich nicht, bezweifle es; wie sich Italien immer seit langer Zeit nach andern richtet und keine eigentliche Nationalität in Sitten und Gebräuchen hat, so auch hierin. Man beschenkt sich zu Weihnachten mit Kuchen und Bonbons, zum Neu-Jahr finden die andern Geschenke statt, nur in Toscana existirt der Gebrauch der Weihnachtsbescheerung unter dem Namen Cepo, hier erhalten die Kinder in einem ausgehöhlten Baumstamm allerhand Geschenke. Ich hatte für die unsrigen die vaterländische Tanne mit dem italienischen Lorbeer ersetzt, und die Äpfel der Heimath mit hesperischen (abendländisch) Goldfrüchten; Korrallen, Muscheln und Lava sollten ihnen bleibende Andenken des mittelländischen Meeres, des Aufenthalts in Neapel gewähren. Sie freuten sich mit der glücklichen Heiterkeit die diesem Alter eigen ist, wo das Bewußtseyn der Existenz noch keine Wolken, an dem glücklichen Kinderhimmel aufthürmt, nur Sonnenschein; ich genoß und theilte ihre Freuden, nur der Gedanke an die entfernten Lieben jenseits der Alpen, in dem kühlen weniger reitzenden Vaterlande, wo deutsche Treue und Gemütlichkeit, wenn auch bei einem weniger äußerlich liebenswürdigen Volke wohnen, warf einen ungemüthlichen Schatten auf das Fest. – So mußten wir immer eines, etwas entbehren, und beständig daran gemahnt werden selbst in unsern Freuden wie mangelhaft alles Irdische ist! – Wir trennten uns gegen M(itternacht), als die Kinder müde trotz der Freude sich nach Ruhe sehnten, und auch ich in der bescheidenen Absicht zu schlafen, aber das war Unbekanntschaft mit Neapel! – Um Mitternacht fingen alle Kanonen der Forts an zu spielen, die Glocken läuteten, alle Schwärmer, Räder, Raketen, die Toledo den Morgen beherbergt flogen in die Luft, aus allen Fenstern ward mit Pistolen geschoßen, ja sogar der Kloster-Garten uns gegenüber hatte seine Batterien, kurz es war ein piffen und paffen, ein Knallen ein Spektakel, die Todten aufzuwecken. Hier findet auch noch die sogenannte bei uns verbotene Christ-Mette statt, in allen Kirchen. So ging das Feuern die ganze Nacht beinah ununterbrochen fort, und es gehört hier zu der Weihnachtsfeyer kein Auge zu schließen. Mit Tagesanbruch beginnt das Feuer mit unerhörter Wuth, alle Straßen sind mit Papieren besäet Petarden (militärische Explosionswaffe) flammen den ganzen Tag und Abend, an allen Enden und Ecken der Stadt auf. Es ist ein Aufwand an Pulver, der mein Bedauern über diese Erfindung wo möglich noch vermehrte. Zum Weihnachtsfest wurden dem Könige Vögel von allen Arten die hier einheimisch sind, und Blumen und Früchte überbracht, 30. Paar Landleute bringen sie in das Schloß, leider versäumten wir es, den Zug zu sehen.









































