Du bist der Gott der Wunder thut: die Wernereiche im Steinfurther Forst

Eine Bastelei: so oder ähnlich könnte der Gedenkstein von der gräflichen Familie im Steinfurther Wald aufgestellt worden sein.

Vor vielen Jahren wurde im Steinfurther Forst ein in drei Teile zerborstener Gedenkstein gefunden mit der Inschrift:

5. April 1872

Du bist der Gott

der Wunder thut

Ps. 77.15

Lange haben wir im Freundeskreis gerätselt, was wohl der Anlass dafür gewesen sein könnte, solch einen Stein mitten im Wald in unwegsamem Gebiet aufzustellen. Dass es die gräfliche Familie veranlasst hatte, war ziemlich schnell ersichtlich. Nur warum? Was war passiert? War es vielleicht doch ein Todesfall, da das Denkmal wie ein Grabstein aussieht? Jedoch das Tagesdatum und der Spruch, der auf ein Wunder hinweist, sprechen wiederum dagegen.
Vor einiger Zeit nun, nachdem ich über zwei Jahre in den Archivalien des Pommerschen Landesarchivs u. a. auch nach dem Geheimnis des 5. April 1872 geforscht hatte, fand ich im Hausbuch der Grafen Bismarck Bohlen einen Eintrag von Theodor:

1872. 5ten Apr. des Herrn schützende Hand hat am heutigen Tage namenloses Unglück von uns abgewendet. Ihm sey Lob und Dank! Mein ältester lieber Sohn, war mit Werner Arnim auf dem Rundgang und sank auf dem Steinfurther Revier, mit dem einen Fuß in eine tiefe alte Torf= oder Fenngrube bis fast an die Hüfte ein, so daß er nicht allein herauskommen konnte, das gespannte Gewehr in der Hand haltend. Werner ihm zu Hülfe kommend, faßte dasselbe vorn an und brachte, indem er auch tief einsank, die Mündung des Gewehres, sich auf den Leib und in demselben Augenblick wendete sich dasselbe und der ganze Schuß Hagel ging ihm in die Seite unter dem Arm durch, die Joppe zerfetzend, so daß alles verbrannt war und viele Hagelkörner in der Joppe steckten und nur 1 Korn ihn leicht streifte! Es ist kein Zweifel, daß wenn nicht durch Gottes Gnade, das Gewehr gerade diese glückliche Richtung gehabt hätte, der Schuß in dieser Nähe ihn unfehlbar getödtet hätte. Zum dauernden Andenken an diese Abwendung unsäglichen Unglücks, ist nahe der Stelle, eine Eiche gepflanzt und am 21ten Mai ein Denkstein gesetzt worden.

Auf einer Kuppe steht im Verein mit alten Buchen die Wernereiche – ein magischer Ort!
Mitten im Steinfurther Wald ein Kreis aus Feldsteinen in der Nähe der Fundstelle des Gedenksteins, vermutlich der Standort

Friedrich schilderte dieses Ereignis in seinen Aufzeichnungen “Aus unserem Leben für unsere lieben Kinder”, welche er im März 1890 niederschrieb, folgendermaßen: hier mögte ich aber doch kurz das Kreuz u. die Freuden erwähnen[,] die uns immer fester den Blick nach Oben richten ließen u. die mein Herz noch heut in liebstem Dank bewegen wenn ich an all‘ die Gnadenwunder denke[,] die der Herr über uns hat kommen lassen.

Zuerst, noch wärend mein lieber Vater lebte, erwähne ich des erschütternden Vorfalls[,] der mir mit unserem geliebten Schwiegersohn Werner am 5ten April 1872 zustieß, wo ich auf der Schnepfenjagd im Steinfurter Holz in ein Fenn [ndt.; morastig-sumpfiger Bereich] versinkend, an dem Gewehr von ihm herausgezogen ward u. dies ihm auf die Brust losging, so daß Rock u. Weste in Flammen standen! Einige 30 Schrotkörner wurden in seinen Kleidern gefunden[.] „Du bist der Gott der Wunder thut“ ließ mein theurer Vater dort an die Stelle in einen Stein hauen vor der dort gepflanzten Werner Eiche! – Kind u. Kindeskind sollten des stets eingedenk bleiben. –

Seit der Zeit hing ich meine Flinte an den Nagel, denn jede Jagdfreude war mir vergellt. Wenn ich auch als Wirth bei größeren Jagden manchmal mit ausrückte so habe ich doch von dem Tage ab die Jagd aufgegeben u. meinen Söhnen überlassen

Wie froh ich war, dieses Geheimnis endlich gelüftet zu haben, kann man sich sicher vorstellen. Die beiden Männer waren Friedrich von Bismarck Bohlen – der älteste Sohn von Caroline und Theodor – und sein Schwiegersohn Werner von Arnim, der mit Friedrichs Tochter Caroline verheiratet war.

Und auch ein weiteres Rätsel löst sich nun ebenfalls. Auf einer Karte, die den Karlsburger Besitz zeigt, ist im Steinfurther Wald eine Wernereiche eingetragen.

Die Wernereiche

Ganz sicher handelt es sich um eben diese Eiche, die aus Dankbarkeit ob des glimpflichen Ausgangs in der Nähe des Unglücksortes gepflanzt wurde.

Der Standort des Gedenksteins mit der Werner-Eiche. Eine Vermutung
Wernereiche

Nun noch einige Bilder von der näheren Umgebung des Feldsteinkreises und der Werner-Eiche, um die Wildnis, die das Denkmal umgeben, zu verdeutlichen:

Eine Eiche, zwar entwurzelt, aber trotzdem am Leben
monumentale Wurzeln
Der Brebowbach

Die Angst vor Corona heute war im 19. Jahrhundert die vor der Cholera

Der Ausnahmezustand, in dem wir uns seit über einem Jahr befinden, ängstigt sicher nicht nur mich deshalb so stark, weil immer mehr Mutanten auftreten und die Impfung nur schleppend vorangeht. So ähnlich müssen sich die Menschen im 19. Jahrhundert bei vielen ansteckenden Krankheiten – sei es Tuberkulose oder Cholera – gefühlt haben, deren Lebensverhältnisse sowie das medizinische Wissen und natürlich auch die medizinische Versorgung unvergleichlich schlechter waren als heute.

In Carolines Briefen an ihren Sohn Fritz nehmen Krankheiten aller Art einen großen Raum ein, die eigenen und mit großer Anteilnahme die in ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis. Von Seuchen wie der Cholera, die die Menschen ebenfalls außerordentlich ängstigten und die sowohl in Anklam oder Stralsund aber auch in ganz Preußen bzw. in ganz Deutschland grassierten, ist des öfteren die Rede.

14.11.1848: Hier ist unterdessen, die Cholera u zwar ziemlich ernst aufgetreten: Sonnabend starb der Kuhhirt in Steinfurt daran, u den Sonntag die beiden jüngsten rüstigsten Tagelöhner – natürlich alle mit Hinterlassung von Wittwen u Kindern. Hier erkrankten 3 Frauen daran, die ich mit Erfolg behandelt habe, nach Angabe des Arztes der zum Glück kam, heut ist noch eine krank u einige auf dem Hof was aber wol nicht viel seyn wird, mit Ausnahme einer wo wir das Nervenfieber fürchten. Es ist nur ein gastrisches Fieber. Vater fuhr Sonntag Vormittag sogleich nach Greifswald u brachte einen jungen Arzt mit, den ihm Berndt empfohlen u den er auf einen Monat engagirt hat. Er gefällt mir recht gut, u ich glaube nicht daß er den liquor austrinken wird, wie der vor 17 Jahren es that mit H. Lauter in Compagnie. … Hier ist im Hause alles wohl, drüben liegen 3 Mädchen u 2 Jungen, die Stube der Wirthschaftslehrlinge u die Fremdenstube sind als Lazareth eingerichtet, im Dorf liegen 4 Frauen aber alle in der Besserung. In Steinfurt ebenso. –

10.08.1849: Eine schwere Sorge ist mir auf’s Herz gefallen mit Fritz [ihr erstgeborener Sohn], daß er die Cholera in seiner Schwadron hat! Gewiß geht er hin ihre Kranken zu sehen – mir schadet das nicht, aber für ihn bin ich besorgt u empfehle ihn dringender als je den Schutz des Himmels, das ist ja das Einzige was man in der Abwesenheit thun kann.

06.09.1849: Doch nun will ich Deine Geduld nicht länger auf die Probe setzen, sondern Dir sagen daß wir sehr glücklich hier eintrafen u Carl [ihr jüngster Sohn] hier vorfanden, da in Anklam Cholera u besonders ein sehr bösartiges Scharlachfieber herrschen, so daß Dr Buhtz ihm gerathen lieber hierher zu gehen. Auf wie lange ist noch unbestimmt. … Hier ist der Garten so frisch u hübsch u auch viel Obst darin, nur erlaubt die Nähe der Cholera nicht, daß man es roh genieße, bis jetzt ist aber noch alles gesund.

25.09.1849: In Stralsund haust die Cholera noch immer, u wenn auch nicht viele Opfer fordernd, so sucht sie sie recht empfindlich aus. Da sehe ich heut den Tod des Grafen Ranzow in der Zeitung ein Schwager von Haselbergs, der 1 Wittwe mit einem kleinen Kind hinterläßt, u der der ganzen Familie ein Stütze, der besten Bürger Einer der Stadt war. Da sind die Wege der Vorsehung sehr unerforschlich. – August Bluhm ist auch noch immer sehr krank seit 5 Wochen an einem nervösen Fieber, aber auf der Besserung dem Anschein nach. Die Cholera verbreitet sich auch wieder auf dem Lande, in Pamitz ist ein Mann daran erkrankt aber wieder geworden.

01.09.1850: Die Cholera ist schlimm in Stralsund u sterben viele daran, wir sprechen aber nicht davon in Juliens [Carolines Schwester] Gegenwart u werden auch nicht in die Stadt fahren, was mir sehr angenehm ist.

04.09.1850: Kein Besuch aus Stralsund stört unsere angenehme Vereinigung [in Niederhof] indem dort leider! die Cholera sehr herrscht, u meine Schwester sie etwas fürchtet.

17.10.1855: Wie dem auch sei so ist es hier auch gut wohnen, u wir sehen Euch um so lieber so gut im Winterquartier eingerichtet, als hier in der Nachbarschaft die Cholera spukt u ziemlich böse ist. In Züssow u Salchow. Gott bewahre uns in Gnaden davor! Dagegen ist in Stralsund seit d. 4ten keiner erkrankt, u freut es mich um so mehr, als die liebe Clementine in dieser Woche einziehen wollte u ich darauf hoffe, sie von Niederhof aus zu sehen … Die Majestäten [Königreich Hannover] sind aber so schwächlich gewesen, daß sie doch wol wenig Freude davon gehabt – an der Marschallstraße mit dem Gefolge zu essen – die Königin hat sich gleich nach der Tafel u der König bald nachher zurückgezogen, Alle haben an der Cholera gelitten!! Wenn sie sich nun doch etwas Ruhe gönnten!

Im Karlsburger Schlosspark entdeckt: Das Veilchen

Ende März denke ich beim Anblick der blühenden Veilchen immer daran, dass bei einem von Theodors ersten Karlsburger Besuchen im März 1817 die Entdeckung dieser Frühlingsboten ein besonders romantischer Augenblick war, an den beide sich gern erinnerten. Er und Caroline fanden bei ihren Spaziergängen im Park die Veilchen und sprachen in ihren Briefen davon. Auch in späteren Jahren erwähnte sie das Veilchen und erinnerte sich an diese Momente unbeschwerten Glücks mit etwas Wehmut zurück.

Am 01.03.1817 schreibt Caroline: Nach Veilchen habe ich auch noch nicht spähen können, Sie brauchen sie nicht zu erwarten, das wissen Sie ja!

Wilde Veilchen im Karlsburger Schlosspark: vielleicht dort, wo die Verlobten sie gefunden haben?

Theodor am 06.03.1817: Gestern und vorgestern war zur Veränderung einmahl gutes Wetter; schon glaubte ich, der Barens habe endlich ausgetobt, die Schläuche des Himmels sich geschlossen, und der liebe Frühling werde endlich mit gutem Wetter und Veilchen kommen, allein heut scheint das Versäumte wieder aufgeholt zu werden, denn alles was der Himmel herab auf armen Erdbewohnern auf die Köpfe fallen kann, Hagel, Regen, Schnee, ist bereits heut früh unter Begleitung eines Sturms gefallen.


Caroline am 17.03.1817: Das Wetter ist Ihnen wenigstens recht günstig: ich werde hernach im Garten gehen und mich nach dem Veilchen umsehen wo Sie ein Reis beysteckten,

Theodor am 18.03.1817: Mit den Veilchen wird es nun wohl bis zu meiner Ankunft währen. Sontag oder Montag über 8 Tage! Mein geliebtes Linchen wäre doch dieser Tag erst da!

Caroline am 23.03.1817: Unser Veilchen ist abgepflückt, ich habe mich danach umgesehen.

Theodor am 20.03.1817: Sie gehen gewiß heut ein wenig im Garten, mein geliebtes Linchen, vielleicht in diesem Augenblick, warum kann ich nicht an Ihrer Seite gehen? Warum nicht mit Ihnen die Veilchen knospen untersuchen, anstatt nun allein zu Malmens zu wandern?

Am 10.10.1820 schreibt sie an Theodor: So eben komme ich von einem großen Spaziergang mit Fikeschen zurück von dem ich Dir auch etwas mitbringe etwas altes u neues zugleich: ein Paar Veilchen
Und einige Zeilen später: Ich fliege ein wenig zu Dir herüber mein geliebter Theodor, u sage Dir zuerst daß Dein Liebling Fritz sanft eingeschlafen ist, nachdem ich ihm ein Veilchen gegeben.

Und in späterer Zeit am 16.04.1842: Zum Beweis daß wir nicht ganz verfrieren schicke ich Dir die beiden einzigen Veilchen die ich finden konnte heute, es ist trotz der Kälte grüner geworden.

Sowie am 31.03.1848: Hier geht alles gut, wir sind wohl u genießen das köstlichste Frühlingswetter, könnte man es nur mit leichtem frohen Herzen wie ehemals! Ich habe eben die ersten Veilchen aus dem Garten gebracht.